Bürokratie – Thomas Lang, Mälzerei

„Ich würde mir mehr Vertrauen in die Betriebe wünschen“
Die Klagen über eine überbordende Bürokratie häufen sich in der Branche. In einer Serie beleuchten wir, welche bürokratischen Pflichten es gibt und welche Auswirkungen sie auf die Unternehmen haben. In dieser Ausgabe erklärt Thomas Lang, Miteigentümer der kleinen handwerklichen Rhön-Malz GmbH aus Mellrichstadt, welche Dokumentationspflichten seine Mälzerei erfüllen muss und was er sich von der Politik wünscht.
Bild: Bürokratie – Thomas Lang, Mälzerei
Foto: Thomas Lang

In Baden-Württemberg und Bayern stehen noch zehn kleine Handelsmälzereien, die dem
Konzentrationsprozess hin zu immer mehr und immer größer standgehalten haben. Bei ihnen kann der Brauer regionales Malz kaufen. Leider hat diese Kleinstbetriebsgröße keine wirkliche Lobby – außer den Bierliebhabern, den Brauern als Kunden und den Landwirten als Lieferanten.

Wir haben den immer schneller voranschreitenden Bürokratieaufbau der letzten 20 Jahre über uns ergehen lassen müssen. Und wir haben erlebt, wie er in unserer Branche als Instrument im Konzentrationsprozess negativ benutzt wird: Jede neu aufgebaute bürokratische Hürde muss von den Betrieben übersprungen werden, um weiter existieren zu dürfen. Hier sind größere Betriebe mit mehr Beschäftigten und dadurch mehr Ressourcen im Vorteil.

Angefangen hat die überbordende Bürokratie für mich gefühlt um die Jahrtausendwende mit dem Bundesimmisionsschutzgesetz und mit der Qualitätsmanagementnorm ISO 9000 ff. der Internationalen Organisation für Normung (ISO). Dann kam die Dokumentation der Rückverfolgbarkeit der Warenströme mit versiegelten Rückstellproben. Nach den Lebens- und Futtermittelskandalen wurde die QS Qualität und Sicherheit GmbH gegründet, ein Unternehmen zur Qualitätssicherung (QS), das unsere Einzelfuttermittel kontrolliert: Siebgerste und Malzkeime. Seither wird eine dokumentierte Eigenkontrolle, ein Ereignis- und Krisenmanagement, die Lenkung fehlerhafter Produkte, ein HACCP-Konzept (Konzept zur Gefahrenanalyse; steht für „hazard analysis and critical control points“) mit HACCP-Team und Fließdiagrammen, eine Gefahrenanalyse mit kritischen Lenkungspunkten, eine Grenzwerteüberwachung und eine jährliche Validierung und Verifizierung verlangt.

Dazu kommen Vorgaben in den Bereichen Futtermittelsachkunde, Deklaration und Kennzeichnung, Betriebshygiene mit Reinigungsaufzeichnungen, Schädlingsmonitoring und Personalhygiene, Gestaltung des Betriebes, Wareneingangskontrolle, Produktspezifikation, Lieferantenbewertung, Einhaltung der QS-Kontrollpläne für externe Schadstoffanalysen, Autorisierung eines zugelassenen Labors und Dateneingabe in die QS-Datenbank.

Jedes Jahr wächst die Überwachung: Auch für Kleinstfuttermittelhersteller kommen neue Punkte hinzu, sodass die Entsorgung der Futtermittel heute fast einfacher ist als die Erfüllung der Auflagen. Aber ohne QS darf man die Futtermittel nicht verkaufen.

Leider sind die obengenannten Vorgaben auch in die staatliche Lebensmittel- und
Futtermittelkontrolle mit eingeflossen. Dazu gesellen sich immer mehr die Berufsgenossenschaften, die Gewerbeaufsicht, die Brandversicherung und die Landratsämter mit Brandschutznachweis und Gefährdungsbeurteilung von Rückkühlwerken sowie die Gesetzgebung mit dem Energie- und Stromsteuergesetz.

Darüber hinaus muss eine Fachkraft für Arbeitssicherheit bei uns bestellt sein. Es braucht Ersthelfer, und die Module für den CE-Führerschein müssen absolviert werden. Wir benötigen eine Gefährdungsbeurteilung für den gesamten Betrieb. Dazu zählen Arbeitsschutzunterweisungen für unsere Mitarbeiter, arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen, eine Beurteilung des Explosionsschutzes mitsamt Organisations- und Fließschema, Gefährdungsbeurteilung, Zoneneinteilung, Unterweisung von Fremdfirmen sowie die jährliche Überprüfung der Maßnahmen.

Fehlt noch: der Elektro-TÜV inklusive Kontrolle von Geräten mit Netzstecker und Thermografie für Elektro-Schaltschränke. Und unserer Berufsgenossenschaft zufolge brauchen wir aktuell für unsere Mitarbeiter eine Unterweisung, die ihr Verhalten bei einem Überfall auf den Betrieb beschreibt.

Wer noch nicht genug hat, kann Bioprodukte mit den entsprechenden Zertifizierungen herstellen oder sich IFS-, DIN EN 50001- oder ISO 14001-zertifizieren lassen. Fürs Büro kommen diverse Statistiken hinzu, zum Beispiel fürs Bundesamt für Statistik. Freuen Sie sich, wenn Sie als Inhaber eines Betriebes heute noch nicht alles erfüllen müssen, was ich aufgezählt habe, und seien Sie nicht traurig, wenn ich einige Dinge vergessen habe, die für Sie jetzt schon relevant sind.

Bezogen auf unseren Zehn-Mann-Betrieb haben wir bald erreicht, dass sich einer von uns, meist ich, um all diese Dinge kümmern muss. Wir haben heute mehr externe Kontrolleure als Mitarbeiter. Daraus ist eine ganze Branche für Qualitätssicherung von Kontroll- und Zertifizierungsstellen und Laboren entstanden, die alle akkreditiert und von den Kontrollierten zu bezahlen sind.

Dies bewirkt eine einseitige, von den zu überwachenden Unternehmen hinzunehmende Mehrarbeit. Mittlerweile ist auch den Behörden bekannt, dass Kleinbetriebe (wie auch große) die aktuellen Vorgaben gar nicht erfüllen können.

Erst durch die COVID-19-Pandemie und die damit einhergehende Kurzarbeit, in der sich unsere Mälzerei derzeit befindet, habe ich verstanden, dass es Wichtigeres gibt als die Einhaltung bürokratischer Vorgaben. Denn zuerst muss die Arbeit stehen, die getan werden muss, um dem Betrieb die Chance des Überlebens zu geben, die Mitarbeiter zu halten und sie weiter bezahlen zu können.

Alle Vorschriften, die zum Schutz der Mitarbeiter oder der Konsumenten dienen, sind in einer Zeit ständigen Aufschwungs entstanden. Die Bürokratie hat mit dem Aufschwung Schritt gehalten. Es gab immer mehr Vorschriften, eine immer größere Geldmenge, immer niedrigere Zinsen, immer höhere Schulden, immer mehr Konsum. Bei den Vorschriften haben wir einen Stand erreicht, der nicht mehr erfüllbar ist. Dabei gehen diese Vorschriften meiner Meinung nach auf einen falsch angewandten Gleichheitssatz in der Europäischen Union (EU) zurück. Im Vertrag über die Arbeitsweise der EU heißt es im Artikel 18, Absatz 1, dass alle Menschen gleich zu behandeln seien. Dort heißt es allerdings nicht, dass alle Menschen, Gruppen oder auch Betriebe als schwarze Schafe angesehen werden müssen, wenn sich ein Mensch, eine Gruppe oder ein Betrieb als schwarzes Schaf herausgestellt hat. Zwar werden auf diese Weise auch alle gleichbehandelt – aber sie werden dabei eben überwacht. Hier bedarf es Korrekturen, die in der Gesellschaft diskutiert werden sollten. In Deutschland wird der Wohlstand durch Innovation und Weiterentwicklung erwirtschaftet. Hierzu tragen gerade kleine Unternehmen überproportional bei.

Ich würde mir mehr Vertrauen von den Kontrollbehörden in die Handwerksbetriebe wünschen. Mein Vorschlag ist, die Qualitätssicherung noch mehr in die Ausbildung der Lehrlinge und Handwerksmeister zu integrieren. Die Kontrollbehörden können gemeinsam mit den Vertretern der Handwerkskammern Standards festlegen. Mit dem Bestehen der Meisterprüfung als Voraussetzung kann die Dokumentationspflicht auf ein wirkliches Minimum reduziert werden.

Aus meiner Sicht sollten die gesetzgebenden Parlamente und Ministerien das Thema der bürokratischen Belastungen ernster nehmen. Denn durch die Bürokratie geschieht zunehmend das Gegenteil von dem, was sich die Menschen wünschen: nämlich eine Stärkung der regionalen Versorgung durch kleine und mittelständische Betriebe – mit Lebensmitteln aus der Region und für die Region. Stattdessen wird den regional arbeitenden Unternehmen durch die bürokratischen Vorgaben mehr und mehr die Luft zum Atmen genommen. Daraus folgt auch, dass immer weniger Start-ups gegründet werden.

Thomas Lang

Diesen Beitrag finden Sie auch in unserem Magazin Bier & Brauhaus, Ausgabe 46 Sommer 2-20,
Seite 16-18
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