Ein Ruhri erklärt den Ruhrpott
Wer kann einem das Ruhrgebiet, seine Menschen und ihre Liebe zum Bier besser erklären als ein Bierverrückter, der sei ganzes Leben im Ruhrgebiet verbracht hat? Eben. Deshalb haben wir einen gefragt. Gerd Ruhmann hat vor 35 Jahren seinen ersten Sud gebraut. Seither hat er in zahlreichen Brauereien im (und ja, auch außerhalb vom) Ruhrgebiet gearbeitet. Seit 2001 gibt er Brauseminare, zum Beispiel in Hövels Hausbrauerei. Er arbeitet als Museumsführer im Brauereimuseum Dortmund, hat am „Brauhausführer Ruhrgebiet“ mitgearbeitet und ist seit 2012 verantwortlicher Brauer der Lindenbrauerei Unna. Im Herbst dieses Jahres will er eine Bierbar in Bochum eröffnen. Noch Fragen? Im Gespräch mit B&B erklärt er, wie der Ruhri tickt, welche Brauereien er liebt und überhaupt, welche Bedeutung Bier für sein Seelenheil hat.
B&B: Wodurch unterscheidet sich das Ruhrgebiet von anderen Regionen Deutschlands?
Gerd: Das Ruhrgebiet ist im Gegensatz zu anderen Regionen wie zum Beispiel Franken oder der Pfalz keine historisch gewachsene Region mit einer einheitlichen Struktur und Identität. Folgen wir Wikipedia, handelt es sich um ein relativ willkürliches Konglomerat von zwölf Städten und vier Landkreisen ganz unterschiedlicher Größe und Bedeutung mit mittlerweile über sieben Millionen Einwohnern. Entsprechend unterschiedlich und vielfältig sind auch die Charaktere und Gewohnheiten der Menschen, die hier leben.
B&B: Warum liebst du das Ruhrgebiet?
Gerd: Genau diese Vielfalt macht den Pott letztendlich aus. Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, eigener Küche und Kultur haben hier über Jahrzehnte ihre Heimat gefunden und das Revier geprägt. Ich kann hier in einer Stunde drei Opernhäuser, vier Musiktheater, fünf Bühnen mit Weltgeltung, ungezählte Museen oder aber 25 Brauereien erreichen. Die Schlösserdichte pro Quadratkilometer ist größer als in Bayern oder am Rhein. Felder, Wiesen, Wälder, Seen, Bäche und Flüsse runden das Freizeitangebot ab. Nicht zu vergessen die „Straßenbahnduelle“ im Fußball zwischen BVB, Schalke 04, MSV Duisburg und dem VfL Bochum, die dann noch das Salz in der Suppe liefern.
B&B: Welche Orte sollte man sich im Ruhrgebiet unbedingt anschauen?
Gerd: Die Route der Industriekultur, die auf ganz unterschiedlichen Themenrouten über 100 ehemalige Industriestandorte miteinander verbindet und einen guten Überblick über den Strukturwandel bietet, den das Ruhrgebiet immer noch durchlebt. Meine Favoriten sind Route 21, „Brot, Korn und Bier“, und Route 6, „Kohle, Stahl und Bier“.
B&B: Was ist typisch für die Menschen, die aus dem Ruhrgebiet stammen?
Gerd: Der Ruhri hat häufig einen Migrationshintergrund – die Kowalskis, Koslowskis, Kalinowskis, Schikopanskis, Dzielnitzkis, die Nowaks, Pawlaks und Szymaniaks waren ja keine Eingeborenen. Der Ruhri ist bodenständig, gerade heraus und verlässlich. Das hat Geschichte! Im Pütt, unter Tage in absoluter Dunkelheit, beim ohrenbetäubenden Lärm der Abbauhämmer und Schrämmaschinen, bei unerträglicher Hitze und atemraubendem Staub, musste man sich einhundertprozentig auf den anderen verlassen können. Das Wort Kumpel kommt übrigens aus dem Polnischen und bedeutet „guter Freund“.
B&B: Wenn man im Ruhrgebiet geboren ist, fühlt man sich dann eher dem Ruhrgebiet zugehörig oder der Stadt, aus der man stammt?
Gerd: Gegenfrage: Singt Herbert Grönemeyer „Ruhrpott, ich komm aus di-hier?“. Nö, er singt natürlich „Bochum, ich komm aus di-hier!“. Und daran werden auch die nächsten millionenschweren Imagekampagnen zum Thema City of Cities so bald nix ändern!
B&B: Welche Rolle spielt Bier für das Selbstgefühl von Menschen aus dem Ruhrgebiet?
Gerd: Das Ruhrgebiet ist nun mal nicht als Weinanbaugebiet berühmt. Außerdem wussten wir lange gar nicht, wie man eine Weinpulle aufmachen soll. Denn Korkenzieher hatten wir nicht im Bestand. Für die zwei Situationen im Jahr, an denen es Wein gab, Muttertag und Weihnachten, brauchten wir auch keinen. Das haben wir mit dem Kochlöffel erledigt. Korken in die Flasche gedrückt und: Bitteschön, Mama! Außerdem ist Bier ein sehr gutes isotonisches Getränk und damit geradezu ideal bei den schweißtreibenden Arbeitsabläufen beim Kohleabbau oder am Stahlkocher. Zudem hatte fast jeder einen Verwandten, Bekannten oder Nachbarn, der auf der Brauerei arbeitete. Und die bekamen, neben Lohn und Gehalt, auch eine „steuerfreie Sachzuwendung“, also ein Deputat. In Dortmund hatten die Brauereien in den 60er-Jahren 6.800 Mitarbeiter. Noch Fragen?
B&B: Gibt es eine Konkurrenz zwischen den einzelnen Brauereien und Marken des Ruhrgebiets?
Gerd: Bei der Frage wird unterstellt, dass sich ein Bochumer mit einem Dortmunder Bier auseinandersetzt und umgekehrt. Warum sollte er? Frag doch mal in Dortmund-Hörde deinen Nachbarn, wann er zu letzten Mal ein Ritterbier (aus Lütgendortmund) getrunken hat. Der wird fragen: „Ritter, Ritter? Is datt nich ne Schokolade?“ Und Recht hat er! Die Verbandsoberen des Brauerbundes betonen am Tag des Bieres immer, dass Bier Heimat brauche. Wir leben das. Jeden Tag. Denn wir wissen: Bier wird durch Transport nicht besser!
B&B: Welches sind aus deiner Sicht die bedeutendsten Brauereien und Biere des Ruhrgebiets, die es heute noch gibt?
Gerd: Von links nach rechts: Köpi in Duisburg, Stauder in Essen, Fiege inBochum, DAB, Hövels und Bergmann in Dortmund, Lindenbier in Unna und last but really not least Vormann in Hagen-Dahl.
B&B: Welches sind aus deiner Sicht die schönsten Orte zum Biertrinken im Ruhrgebiet?
Gerd: Die ungezählten Biergärten, Brauereiausschänke und, sehr typisch, „anne Bude“: an den für das Ruhrgebiet typischen Kiosken, die auf der Grundfläche einer deutschen Bahnhofstoilette ein Warensortiment mit gefühlt 4.000 Artikeln vorhalten. Und natürlich eiskaltes Bier.
B&B: Welches sind aus deiner Sicht die interessantesten Orte der Bierkultur im Ruhrgebiet?
Gerd: Das Brauereimuseum in Dortmund mit einer sehr interessanten multimedialen Dauerausstellung über das Brauwesen in Dortmund, das sich ja im Wesentlichen mit der Entwicklung in anderen Revierstädten deckt. Und die „BrauKultTour“ bei Fiege in Bochum. Die beinhaltet gefühlte 374 Stufen, vom tiefsten Lagerkeller zwei Ebenen unter Tage, aber mit Zwicklprobe, bis hinauf zur Zirbenstube über den Dächern der Stadt, wo man dem Himmel auf Erden sehr nahe ist – bei Fiege Pils und Currywurst (der echten, die Herbie besingt!). Da geht nix drüber!
Die Fragen stellte Falk Osterloh.