Wie die EU den deutschen Biermarkt beeinflusst

In den vergangenen Jahrzehnten gab es zum Kulturgut Bier diverse Entscheidungen aus Brüssel, die die deutschen Brauereien und Biertrinker gleichermaßen zum Schäumen gebracht haben – nicht immer zu Recht, wie B&B-Autor Peter Eichhorn bei seiner Spurensuche im Verordnungsdschungel zeigt.

Ärger mit Brüssel

Das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten ist nicht frei von Spannungen. Oft genug wird die EU als Bürokratiekrake wahrgenommen, die den braven Nationalstaatlern mit grenzdebilen Vorgaben das Leben schwer macht. Auch zum Kulturgut Bier gab es in den vergangenen Jahrzehnten diverse Entscheidungen aus Brüssel, die die deutschen Brauereien und Biertrinker gleichermaßen zum Schäumen gebracht haben – nicht immer zu Recht, wie B&B-Autor Peter Eichhorn bei seiner Spurensuche im Verordnungsdschungel zeigt.

Der neueste Streit zwischen der Europäischen Union (EU) und dem deutschen Biertrinker ist noch gar nicht lange her. Im März dieses Jahres rollte eine Woge der Entrüstung durch die Biergaststätten des Landes – insbesondere durch die bayerischen –, als Meldungen auftauchten, dass die EU den Ausschank von Bier in Steinkrügen verbiete. Erboste Wirte erzählten Journalisten, dass auf dem Boden der Steinkrüge, die sie gerade frisch ausgepackt hatten, der Schriftzug angebracht sei: „Nicht für schäumende Getränke zu verwenden“.

Der Ursprung der Geschichte beruht auf der EU-Richtlinie für Messgeräte aus dem Jahr 2004 (2004/22/EG), die für neu gefertigte Messgeräte aller Art grundsätzliche Vorgaben formuliert, die dann in den einzelnen Mitgliedstaaten individuell umzusetzen sind. Dabei gilt es zu beachten, dass ein Bierkrug im juristischen Sinne kein Trinkgefäß, sondern ein Messinstrument ist. Deutschland hat die Richtlinie im Jahr 2015 mit dem neuen Mess- und Eichgesetz (MessEG) und der neuen Mess- und Eichverordnung (MessEV) umgesetzt. 2014 machten verschiedene Medien, insbesondere in Bayern, daraus einen Sturm im Wasserglas. Sie nutzten die bevorstehenden Neuregelungen zu krachlederner EU-Schelte und beriefen sich auf die Verordnung zur Krümmung von Gurken oder die Normierung auf einheitliche Kondomgrößen.

„Nicht für schäumende Getränke zu verwenden“

Meldungen folgten, das Bundesland Bayern habe erfolgreich interveniert und die unsinnige Regelung gekippt. Die bayerische Staatsministerin für Wirtschaft, Ilse Aigner, wurde zuhauf zitiert mit den Worten: „Es gibt in Europa wahrlich dringendere Probleme.“ Allerorten in Bayern feierten die Medien die Rettung des Steinkrugs. Wendet man sich an EU-Stellen und fragt nach der Geschichte, so erhält man hingegen gänzlich andere Informationen. In der Vertretung der Europäischen Kommission in München betreut Steffen Schulz die Angelegenheit und formuliert die Position der EU: Die Meldung, die EU habe vorgeschrieben, dass traditionelle Krüge aus Stein nicht mehr für den Ausschank von Bier erlaubt seien, sei falsch, sagt er. Ebenso falsch sei die Behauptung, die EU habe vorgeschrieben, dass die steinernen Krüge am Boden den Aufdruck „Nicht für schäumende Getränke zu verwenden“ tragen müssten. Dies sei allein durch den deutschen Gesetzgeber vorgegeben. Ebenso falsch sei schließlich die Meldung, Bayern habe sich erfolgreich gegen ein EU-Verbot des Steinkrugs gewehrt, so Schulz.

Unter die EU-Richtlinie, heißt es aus der EU, fielen neu hergestellte Trinkgläser, die in Gaststätten benutzt werden. Der Verbraucher solle dabei durch ein Strichmaß feststellen können, dass tatsächlich so viel Bier im Glas ist, wie vom Verkäufer angegeben wurde. Die Richtlinie sei überhaupt nicht darauf ausgelegt, auf traditionelle Steinkrüge Anwendung zu finden. Dafür gibt es eine einfache technische Begründung: Solche Krüge eignen sich selbst bei Anbringung eines Eichstrichs aufgrund des nicht durchsichtigen Materials nicht als Messgeräte für den Ausschank von schäumendem Bier. Und so verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten keineswegs, den Gebrauch von Steinkrügen für Bier in Gaststätten zu verbieten. Der deutsche Gesetzgeber empfiehlt den Wirten übrigens, ein Messgerät am Tresen zu haben, mit dem der Gast die Schankmenge überprüfen kann sowie einen Hinweis im Lokal, dass ein solches Nachmessen möglich ist.

Deutschland geht einen Sonderweg

Das ist nur ein Beispiel für die Spannungen, die das Verhältnis der deutschen Brauwirtschaft zur EU begleiten. Für die Bierindustrie galt und gilt es schließlich, die eigenen Interessen und den eigenen Markt vor zu vielen Regulierungen von außen zu beschützen – zum Beispiel durch die „Kölsch Konvention“ aus dem Jahr 1986. Sie besagt, dass sich ein Bier nur Kölsch nennen darf, wenn es nach dem deutschen Reinheitsgebot in Köln gebraut ist, wenn es obergärig ist, hopfenbetont und hell und wenn es ein blankes Erscheinungsbild vorweist, also nicht naturtrüb ist.

In Sachen Bier geht Deutschland innerhalb der EU einen Sonderweg. Denn eigentlich gilt in ganz Europa die EU-Verordnung 1129/2011, die erlaubte Inhaltsstoffe im Bier regelt. Dazu zählen beispielsweise günstige Malzersatzstoffe wie Mais, Reis oder ungemälztes Getreide, aber auch Emulgatoren, Aspartam, Benzoesäure, Farbstoffe, Süßstoffe, Enzyme, Ascorbinsäure und weitere 30 E-Stoffe mehr. Diese Zutaten passen natürlich nicht zu unserem Reinheitsgebot. Und in der Tat: Aus EU-Perspektive ist das deutsche Reinheitsgebot eine Art Ausnahmegenehmigung – den die Europäische Union durch das Gütesiegel „Traditionelles Lebensmittel“ anerkannt hat, mit dem deutsches Bier gesetzlich geschützt ist. So dürfen in Deutschland trotz der EU-Verordnung 1129/2011 keine der genannten Zusatzstoffe verwendet werden, wenn das Bier nach dem Reinheitsgebot gebraut ist. Für den Export ihrer Biere dürfen deutsche Brauereien allerdings auch Biere nach EU-Norm brauen und somit das Reinheitsgebot ignorieren.

Ein entscheidendes Datum für das Bierverhältnis zwischen der EU und der Bundesrepublik ist der 12. März 1987. An diesem Tag erfolgte das berühmte „Bierurteil“ des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Bis dahin war es der Brauwirtschaft gelungen, den deutschen Markt vor zahlreichen ausländischen Produkten zu „schützen“. So war der Verkauf von Bieren, die nicht nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut waren, untersagt. So mancher Verbraucher dürfte sich seither eher über das Eingreifen aus Brüssel gefreut haben, öffnete der EuGH damit den deutschen Markt doch für internationale Brauspezialitäten wie Fruchtlambics, Witbiere, Oyster Stouts oder Farolambics.

Schwarzer Abt

© Klosterbrauerei Neuzelle

1993 trat dann die „Verordnung zur Durchführung des Vorläufigen Biergesetzes (BierStDB)“ in Deutschland in Kraft. Diese Verordnung und die dadurch erlaubten Zusatzstoffe im Bier, wie Polyvinylpolypyrrolidon (PVPP), wurden ja im Jubiläumsjahr des Reinheitsgebots streitlustig diskutiert (siehe dazu B&B, Heft 29). Daher blicken wir auf ein anderes Ereignis aus demselben Jahr zurück. Damals braute die Klosterbrauerei Neuzelle das Bier „Schwarzer Abt“ ein. Wächter des Reinheitsgebots in Brandenburg begehrten auf, da die Rezeptur Zucker enthielt und somit nicht die Kriterien des Reinheitsgebots erfüllte. Der Begriff „Bier“ auf den Flaschenetiketten wurde untersagt. Das wiederum wollte die Brauerei nicht hinnehmen und berief sich auf die historische und beurkundete Rezeptur, die bis in das Jahr 1589 zurückreicht. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig beendete am 24. Februar 2005 den langen Streit, der als „Brandenburger Bierkrieg“ in die Geschichtsbücher einging. Bereits nach § 9 Abs. 7 des Vorläufigen Biergesetzes können die jeweiligen Landesbehörden auf Antrag Ausnahmen vom Reinheitsgebot in Form von „Besonderen Bieren“ zulassen. Das Gericht forderte die Behörden nun auf, diese Möglichkeit „großzügig“ zu handhaben.

Probleme mit dem Pfand

Ein weiteres Thema der politischen Regulierung ist das Flaschenpfand. Seit dem 1. Januar 2003 gilt in Deutschland die Pfandpflicht: aktuell die „Dritte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung“, die am 28. Mai 2005 in Kraft trat. Innerhalb der EU gilt die Richtlinie 94/62/EG des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 20. Dezember 1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle, die allgemeine Vorgaben formuliert, welche die Mitgliedstaaten bei ihren jeweiligen Pfandsystemen berücksichtigen müssen. Ein Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen Deutschland wurde mittlerweile fallen gelassen. Bemängelt wurde seinerzeit, dass der Handel in Deutschland nur diejenigen pfandpflichtigen Getränkeverpackungen annehmen musste, die ein jeweiliger Händler auch verkauft hatte. Die überarbeitete Regelung der Bundesregierung von 2005 formulierte fortan, dass die Flaschen „in allen Verkaufsstellen zurückgegeben werden, in denen Getränke in Verpackungen aus gleichem Material verkauft werden“. Die Regelungen in anderen europäischen Ländern sind sehr verschieden und teilweise verwirrend. Wie so oft gilt: Die EU formuliert Zielvorgaben und Rahmenbedingungen. Die Umsetzung erfolgt dann durch das jeweilige Land.

Eine gewichtige Stimme für die Brauwirtschaft in Brüssel übernimmt die Organisation „Brewers of Europe“. Dabei handelt es sich um eine Art Dachverband der nationalen Brauerverbände, wie dem Deutschen Brauer-Bund, dem Verband der Brauereien Österreichs oder der British Beer and Pub Association. Vertreten sind 26 EU-Länder sowie Norwegen, die Schweiz und die Türkei. Grundsätzlich postuliert der 1958 gegründete Verband Absichten wie die Vertretung gemeinsamer Ziele gegenüber der EU und die Kommunikation von Bier als positivem gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Faktor, zudem führt er Kampagnen zum maßvollen Umgang mit Alkohol durch.

Bewahrung des Reinheitsgebots

Dabei spielen auch jene Themenbereiche eine Rolle, um die sich die nationalen Verbände in ihren Heimatländern ebenfalls kümmern. Stets geht es um mögliche Werbeverbote oder strengere Auflagen bei der Kommunikation und Präsenz von Bier im öffentlichen Raum. Zudem stellen zunehmende Einschränkungen durch gesetzliche Gesundheitsauflagen oder gar prohibitionsbejahende Überlegungen für das Genussmittel Bier eine tägliche Bedrohung dar, der die Verbände entgegentreten.

Eines der Hauptanliegen der deutschen Brauwirtschaft ist die Bewahrung des deutschen Reinheitsgebots. Aus der Craftbierszene kommen hingegen Forderungen nach einer Aufhebung des Reinheits- und der Einführung eines Natürlichkeitsgebots. Dieser Streit, der sich zuletzt in Bierausschüttungen und krawalligen Äußerungen darstellte, nützt unserem geliebten Bier allerdings wenig. So bleibt zu hoffen, dass das Vorläufige Biergesetz künftig so modifiziert wird, dass das Reinheitsgebot weiterhin als Qualitätssiegel wahrgenommen werden kann und nicht als einengendes Korsett verstanden werden muss. Sollte das nicht geschehen, droht die Gefahr, dass die EU diesbezüglich erneut aktiv wird – nämlich dann, wenn sich ein trotziger Kreativbrauer womöglich durch die Instanzen klagt und Brüssel den deutschen Biersonderweg beendet. Und das kann nicht gewünscht sein.

Peter Eichhorn

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