Jenseits des Mindesthaltbarkeitsdatums

B&B-Experte Markus Metzger sinniert darüber, welche Bierstile sich nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums zur Reifung eignen – und welche nicht.
background of barrel
background of barrel

Verderb versus Reifung

Dass das Mindesthaltbarkeitsdatum beim Bier wenig sinnhaft ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Denn Bier verdirbt nicht im eigentlichen Sinne, es ändert nur sein Geschmacksprofil. Manchmal ist das nicht so schön, manchmal ist es jedoch großartig. B&B-Experte Markus Metzger sinniert darüber, welche Stile sich zur Reifung eignen – und welche nicht.

Beginnen möchte ich mit einer Anekdote: Seit vielen Jahren schon sammle ich alles, was mit Bier zu tun hat und alt ist: Kronenkorken, Emailschilder, Bierkrüge oder Bügelflaschen mit Prägung. Auf eine solche hoffte ich, als mir ein Freund meines Vaters 1993 erzählte, dass er in seinem Keller eine alte, original gefüllte Flasche Binding Carolus Dunkler Doppelbock gefunden habe und mir diese überlassen wolle. Aber wie enttäuscht war ich, als sich herausstellte, dass es keine Bügel-, sondern nur eine Euroflasche war – zwar etikettiert und original verschlossen mit ursprünglicher Befüllung, aber trotzdem. Weggeworfen habe ich die Flasche dennoch nicht. Über einen befreundeten Braumeister der herstellenden Brauerei Binding in Frankfurt/Main konnte ich sogar eruieren, dass die aufgebrachte Etikettierung nur bis 1974 verwendet worden war. So ruhte diese Flasche bei mir unbeachtet in einem dunklen Kellerregal und verstaubte. Wie ging es weiter? Am Neujahrsmorgen 2000 um circa 2.00 Uhr morgens merkte ich, dass ich den Bierdurst von uns restlichen (zwei) Feiernden – alle anderen waren schon schlafen gegangen – doch stark unterschätzt hatte. Einzig die zu diesem Zeitpunkt mindestens 26 Jahre alte Flasche Carolus war noch da. Wir trauten uns ran an die Flasche – was macht man im Suff nicht für Blödsinn – und wurden für unseren Mut mit einem Geschmacks­erlebnis ohnegleichen überrascht und belohnt. Samtener Schaum im Glas, wenn auch gleich zerfallend. Ein angenehmer Geruch nach Schwarzbrot umwehte unsere Nasen. Bei ausreichender Rezenz und angenehmer Vollmundigkeit umschmeichelten Sherry- und Honignoten unseren Gaumen. Zwar hatten die Gerüche und Aromen nichts mehr mit Bier im eigentlichen Sinne zu tun, und einen Teil des Inhalts mussten wir durch Dekantieren des Bodensatzes verwerfen, aber der Rest war einfach toll! Eine neue Sammelleidenschaft war bei mir geboren: Biere aufheben, reifer werden lassen und nach Jahren mit Hochgenuss verkonsumieren. Dabei habe ich verschiedenste Erfahrungen gemacht, die ich hier weitergeben möchte.

Zunächst sei erwähnt, dass sich positive wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema leider nicht finden lassen, höchstens negativ geprägte Aufsätze und Beschreibungen zur Bieralterung*. Denn eigentlich ist Bier ja keine Dauerkonserve, sondern ein Produkt, bei dem es auf Frische ankommt. „Bier wird nur zu dem Zweck gebraut, um getrunken zu werden, und dasjenige Bier, das nicht getrunken wird, hat eben seinen Beruf verfehlt.“ Das wusste schon der Abgeordnete Dr. Alexander Meyer am 21.01.1880 im preußischen Landtag bei der Beratung des Gesetzentwurfs betreffend die Steuer vom Vertriebe geistiger Getränke. Offen ließ er aber, bis wann das Bier seiner Berufung folgend getrunken sein sollte.

Die Sache mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum

Lange und heftig haben sich die deutschen Brauer gegen die Angabe eines Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) bei Bier gewehrt. Genutzt hat es ihnen nichts. Das MHD kam für Bier zum 1. Januar 1989. Seitdem muss auch bei Bier auf dem Etikett der Zeitpunkt angegeben sein, bis zu dem es bei sachgemäßer Lagerung seine spezifischen Eigenschaften behält (= Mindesthaltbarkeitsdatum). Bis zu diesem Datum dürfen sich unter angemessenen Aufbewahrungsbedingungen nachweislich keine wesentlichen Einbußen bei den Qualitätskriterien des Produkts und auch kein gesundheitliches Risiko ergeben haben. Anders als weitläufig vermutet, wird das MHD vom Hersteller nach dessen eigenem Ermessen und nicht durch Behörden oder gar gesetzliche Vorschriften festgelegt.

Bierqualitätskriterien sind entsprechend der Verbrauchererwartung:
– die Klarheit beziehungsweise Trübung (abhängig von der Biersorte),
– die Schaumhaltbarkeit,
– der Geschmack und
– der Geruch.

Das MHD ist bei Bier kein Verfallsdatum: „Mindestens haltbar bis …“ bedeutet also nicht „verdorben am …“. Biere sind oft noch weit länger trinkbar, als es auf dem Etikett mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum angegeben ist und – ich möchte es an dieser Stelle ausdrücklich betonen – auch ein Bier, das weit über das MHD hinaus konsumiert wird, ist niemals gesundheitsschädlich! Nur die ursprünglichen, zum Zeitpunkt der Herstellung vorhandenen Eigenschaften werden sich innerhalb der Lagerzeit – seien es ein halbes, ein ganzes, zwei, fünf, zehn oder noch mehr Jahre – verändern.

Die verflixte Bierhaltbarkeit

Die Haltbarkeit eines Bieres, auch als Stabilität des Bieres bezeichnet, wird sowohl durch biologische als auch durch chemisch-physikalische Vorgänge beeinflusst, die sich dann letztendlich sensorisch in Geschmack und Geruch bemerkbar machen. Der Fachmann unterscheidet deshalb drei Arten der Haltbarkeit:

– die biologische Haltbarkeit beziehungsweise Stabilität,
– die chemisch-physikalische Haltbarkeit beziehungsweise Stabilität, auch nichtbiologische Haltbarkeit genannt und
– die daraus resultierende sensorische Haltbarkeit beziehungsweise Stabilität.

Die biologische Haltbarkeit kann nur durch Hygienemaßnahmen in der Brauerei beeinflusst werden, da sie durch das Wirken von Mikroorganismen beeinflusst wird. Auch einige Inhaltsstoffe im Bier wirken keimhemmend, unter anderem
– der Alkohol im Bier,
– der niedrige pH-Wert des Bieres,
– die Hopfeninhaltsstoffe und
– der CO2-Gehalt des Bieres bei gleichzeitig niedrigem Sauerstoffgehalt.
Zusätzlich finden die Keime angesichts des wenigen Restextrakts im Bier keine Nahrung, was ebenfalls deren Wachstum hemmt.

Darum können nur wenige Mikroorganismen im Bier wachsen, wie zum Beispiel
– Pediokokken,
– Milchsäurebakterien,
– Essigsäurebakterien und
– Fremdhefen beziehungsweise wilde Hefen.

Diese Bierschädlinge führen zu Geruchs- und Geschmacksfehlern, Trübungen, Bodensatz, Haut- und Schleimbildung, eventuell auch zu höheren Alkohol- und CO2-Gehalten. Trotz des aktuellen Trends zu sogenannten „Sour“-Bieren macht es aus meiner Sicht keinen Sinn, mikrobiologisch verdorbene Biere aufzuheben und weiter „reifen“ zu lassen.

Bei hygienisch sorgfältiger Arbeitsweise lässt sich ein genügend haltbares Bier herstellen. Zusätzlich verbessern eine Filtration sowie eine Kurzzeiterhitzung (Pasteurisation) die biologische Haltbarkeit des Biers. Ist ein abgefülltes Bier in mikrobiologischer Hinsicht ab Brauerei einwandfrei beziehungsweise ohne Befund, wird sich dieser Status auch bei einer langfristigen Lagerung nicht mehr ändern.

Mit den Begriffen chemisch-physikalische, nichtbiologische oder kolloidale Haltbarkeit wird die Trübungsneigung des Bieres bezeichnet, die durch chemische Reaktionen im Bier hervorgerufen wurde. Diese chemischen Reaktionen werden teilweise durch physikalische Einflüsse (häufige Temperaturschwankungen, Lichteinfluss, Sauerstoff, Bewegung) ausgelöst.

Man unterscheidet bei der chemisch-physikalischen Trübung die reversible (umkehrbare) Trübung von der irreversiblen Trübung. Die reversible Trübung ist die sogenannte Kältetrübung. Bei -2 °C fällt Eiweiß aus, das sich bei Erwärmung auf über 7 °C wieder löst. Die irreversible (unumkehrbare, bleibende) Trübung wird durch die Zusammenballung verschiedenster Kolloide im Bier (zum Beispiel Dextrine, Eiweiß, Glucane, Gerbstoffen, freie Metallionen und Wassersalze) hervorgerufen.

Die chemisch-physikalische Haltbarkeit wird in der Brauerei durch technologische (zum Beispiel durch die Malzauswahl, das Maischverfahren, das Würzekochen oder die Gärung) und durch technische Maßnahmen (zum Beispiel die Biertiefkühlung, die Filtration oder den Einsatz von Stabilisierungsmitteln) geprägt.

Fehler in der sensorischen Stabilität zeigen sich durch das „Alterungsflavour“, das sich aus chemischen Veränderungen von Carbonylverbindungen (zum Beispiel Aldehyde und Ketone) ergibt. Weitere Ursachen des Alterungsflavours sind:
– Abbauvorgänge sowie Autoxidation von Fettsäuren,
– Maillardreaktionen,
– Streckerabbau von Aminosäuren,
– Oxidation von Isohumulonen, Hopfenölen sowie Polyphenolen und
– Oxidation höherer Alkohole.

Das Alterungsflavour äußert sich laut Fritz Jacob in einem Verlust an positiven Geschmacksstoffen:
– Verlust an Vollmundigkeit (zum Beispiel durch Oxidation von Bierkolloiden),
– Auftreten einer harten, breiten Bittere (zum Beispiel durch Oxidation von Polyphenolen und Hopfenölen),
– Verminderung des Hopfencharakters,
– Verminderung des Esteraromas,
– Verminderung des Malzaromas.

Im Brauprozess besteht die Möglichkeit, die Bildung des Alterungsflavours bei der Bierlagerung zu verzögern. Dies kann geschehen durch
– Vermeidung des Eintrags von Sauerstoff,
– Vermeidung thermischer Belastung von Würze und Bier,
– Einstellung niedriger Fettsäuregehalte im Bier (über das verwendete Malz) und
– Ausschluss von Licht.

Alterungsflavour erwünscht?

Im Zusammenhang mit dem hier diskutierten Thema der Reifung sind die entstehenden Alterungskomponenten durchaus erwünscht und maßgebend für die mit einer langjährigen Reifung angestrebten Veränderungen im Bier (siehe auch Bild 1). Solche Alterungskomponenten sind
– beerenartige Aromen („ribes flavour“),
– pappdeckelartige Aromen („cardboard flavour“),
– brotartige Aromen,
– süße, honig- und karamellartige Aromen und
– sherry- und whiskyartige Aromen.

Folgerungen für eine langjährige Bierlagerung/-reifung mit positiven Ergebnissen: Besonders für eine langfristige Reifung sind nur solche (Flaschen-)Biere geeignet, die schon im frischen Zustand lecker mundeten. Also darum zunächst: „Probieren geht über studieren!“

Darüber hinaus gibt es aus meiner Erfahrung noch weitere Kriterien, die erfüllt sein sollten, um das Bier langfristig aufzubewahren. Die Biere sollten
– mikrobiologisch einwandfrei,
– klar, filtriert und eventuell pasteurisiert,
– dunkel,
– malzig-vollmundig,
– stark (mit hoher Stammwürze sowie hohem Alkoholgehalt) und
– gering gehopft (milde Bittere) sowie ohne ausgeprägtes Hopfenaroma sein.

Weniger geeignet bis ungeeignet sind
– schlanke Vollbiere: die riechen nach Jahren zwar auch sehr aromatisch, der Geruch verspricht dem Konsumenten aber mehr, als der Geschmack dann hält,
– Biere nach Pilsener Brauart: die Bittere wird mit den Jahren unangenehm kratzig,
– hopfengestopfte Biere: das Hopfenaroma verwandelt sich mit der Zeit in Richtung „eingeschlafene Füße“ und
– unfiltrierte beziehungsweise hefetrübe Biere, die noch lebende Hefezellen enthalten: hier besteht die Gefahr der Hefeautolyse (mit allen Folgen wie Schaumverlusten, Fehlaromen et cetera).

Ich bewahre mir immer drei bis vier Flaschen eines Biers auf. Diese lagere ich dann unter dauerhaft gleichmäßigen Bedingungen, insbesondere
– stehend,
– dunkel und
– kalt (3 – 8 °C).

Frühestens zwei bis drei Jahre nach Erreichen des MHD mache ich einen ersten Test. Wenn jetzt das Verkostungsergebnis passt, kann es mit der Reifung weiter gehen. Unvermeidbar wird durch das Ausflocken von Kolloiden (zum Beispiel Eiweiß) mit den Jahren in der Flasche ein Bodensatz entstehen. Deshalb sollte beim Ausschank in jedem Fall dekantiert werden. Dann steht dem Genuss nichts mehr im Weg!

Ausblick: Derzeitige Entwicklungen auf dem Biermarkt

Für Brauereien wäre in diesem Zusammenhang zu überlegen, ob sie „die spezifischen Eigenschaften“ ihres MHD neu und so interpretieren, dass diese erst mit zunehmender Lagerdauer erreicht werden. Einige Brauereien tun dies schon. Gerade viele belgische Bierstile (zum Beispiel Geuze, Lambic, Dubbel, Tripel), aber auch englische und amerikanische Barley Wines sind von Haus aus, also von den produzierenden Brauereien, auf eine langfristige Reifung ausgelegt. Das zeigt sich auf den Etiketten dieser Biere durch die Angabe entsprechend großzügig interpretierter Mindesthaltbarkeiten.

Doch auch in Deutschland trauen sich mittlerweile manche Brauereien ein bisschen was. Unter anderem die Brauerei Schneider in Kelheim, Camba Bavaria in Truchtlaching und die Brauerei Faust in Miltenberg experimentieren schon viele Jahre auf diesem Gebiet.

International finden sich noch mehr Biere mit langjährigen MHDs, zum Beispiel
– Fuller´s Brewery: Imperial Stout mit 10,7 % ABV, gebraut 2015, MHD bis 2025
– Brauerei Gusswerk: Krinnawible mit 14,5 % ABV, gebraut 2015, MHD bis 2025
– Brouwerij de Molen: Serie „Rasputin“, unter anderem Russian Imperial Stout mit 10,7 % ABV und dem Etikettenaufdruck: „This beer will be good for 25 years“!!!

Also, es tut sich was. Weiter so!

Markus Metzger
1. Vorsitzender der Vereinigung der Haus- und Hobbybrauer in Deutschland (VHD)

Inhalt dieses Artikels

Werbung:

Weitere Kategorien im Blog

Auch interessant?

Bier und Brauhaus Abo´s:

Aktuelle Informationen & Angebote ins E-Mail Postfach

Zweimal im Monat Informieren wir über Aktuelles zu unseren Themen Bier und Brauhaus, oder lassen besondere Angebote zukommen: