Kampf der Giganten. Geuze

Bierbrauer Gerhard Ruhmann verkostet drei seiner Lieblings-Geuzes und kürt am Ende den Sieger im Kampf der Giganten.
Cantillon Geuze Bio Bier
Cantillon Geuze Bio

Mort Subite, Cantillon, Boon: Drei Große im Duell

Zu jedem Bierstil gibt es weltweit einige Marken, die Bierliebhaber zum Schwärmen bringen. In Bier & Brauhaus treten in dieser Ausgabe drei der großen Biere eines Stils in einem Kampf der Giganten gegeneinander an. Wer wird gewinnen? Welches Bier ist das Beste der Besten?

Die Zeiten des Naserümpfens sind zwar noch nicht endgültig vorbei, aber immerhin stellt Jean van Roy, Inhaber der in sechster Generation familiengeführten Brauerei Cantillon in Brüssel keinen Eimer mehr in die Mitte, wenn deutsche Gruppen die Brauerei besuchen. Das kannte ich von seinem Vater Jean-Pierre, der das jeweils resignierend kommentierte mit: „Was soll man von einer Nation erwarten, die ‚etwas anbietet wie sauer Bier‘, wenn sie von etwas sehr Minderwertigem spricht.“ Und er behielt Recht: Etwa 60 Prozent der Bierproben landeten im Eimer, obwohl das Lambic von Cantillon alles andere als minderwertig ist und wir in Deutschland mit der Gose oder der Berliner Weisse ja zumindest regional auch traditionelle Sauerbiere kennen.

Aber Sauerbier war eben sauer Bier und somit bei uns wenig wertgeschätzt. Dabei ist das Dabei ist das Lambic (oder flämisch Lambiek) eine absolute Besonderheit – wird es doch nur noch von etwas mehr als einer Handvoll Brauereien in der Umgebung von Brüssel und Lembeek (daher der Name) gebraut und mit endemischen Hefen der wilden Rassen Brettanomyces Bruxellensis oder Brettanomyces Lambicus spontan vergoren. Das heißt: Die Hefe wird nicht aktiv zugesetzt.

Vergoren in Kastanie oder Eiche

Stattdessen wird die Würze nach dem nicht selten 3-stündigen Hopfenkochen auf ein Kühlschiff gepumpt und kommt dort mit den wilden Hefen aus der Luft in Verbindung, wo sie fermentiert. Allerdings nur in den kalten Monaten, also etwa von Oktober bis April. Im übrigen Jahr ist es zu warm, und die Zusammensetzung der Luft im Tal der Senne, dem Pajottenland, ist für die Lambic-Bereitung ungünstig.

Vergoren wird traditionell in Holzfässern aus Kastanie oder Eiche über zwei bis drei Jahre. Das führt einerseits zu einer schönen Gold- bis Bernsteinfärbung, andererseits aber auch zu einer CO2-Armut, da die Holzdauben der Fässer gasdurchlässig sind – ein Grund, aus dem diese Biere höchst selten auf Flasche gezogen und fast ausnahmslos in der Region vertrieben werden.

Häufiger werden die Lambics jedoch verschnitten, das heißt drei Jahre alte Biere werden mit jungen Jahrgängen kombiniert, um so durch die neuerliche Nachgärung eine schöne Rezenz zu erhalten. Die Verschnitte nennt man Geuze (oder Gueuze im Französischen). Diese schon fast künstlerischen Kompositionen verschiedener Jahrgänge, manchmal auch von Bieren verschiedener Brauereien, kreiert der sogenannte Geuzesteker, ein Berufsstand, den es folglich auch nur hier gibt. Vielfach handelt es sich um erfahrene, sensorisch hoch begabte freischaffende Künstler, die von Brauerei zu Brauerei tingeln, um den jeweiligen Produkten ihren Stempel aufzudrücken. In seltenen Fällen sind sie Geuzesteker und Brauer in Personalunion. Drei dieser Biere, die man auch unter Brüsseler Champagner kennt, möchte ich im Kampf der Giganten vorstellen.

Mort Subite Geuze Lambic, 4,5%

Das Mort Subite ist ein bernsteinfarbenes, klares Bier. Es duftet fruchtig und grasig nach Dörrobst. Im Antrunk schmeckt es süßsauer mit leichtem Cidreton, im Mittelteil weich und spritzig wie ein sehr erfrischender Durstlöscher. Im Abgang überwiegt ein angenehmes Pfirsich- und Ananasaroma. Hopfennoten sind nicht wahrnehmbar.Das Mort Subite besticht durch eine schöne Rezenz und einen für diesen Bierstil üppigen Schaum. Natürlich fehlen bei der heimischen Verkostung die vergilbten Tapeten und die blinden Spiegel der Brüsseler Kneipe gleichen Namens. Aber ansonsten: deliziös!

Cantillon Geuze, 5,5 %

Das Cantillon Geuze kommt aus der über 100 Jahre alten Brauerei im Brüsseler Stadtteil Anderlecht, in der die Zeit stehen geblieben ist. Die Eichenfässer werden noch mit Schleppketten und einem Tumbler gereinigt, und der gesamte Antrieb für das komplette Sudhaus erfolgt über unzählige Transmissionen. Im Gärbereich, wo die Holzfässer mit einem Naturkorken und einem Spundlappen nur notdürftig verschlossen sind, machen sich Myriaden von Fruchtfliegen über die Kräusen her, über die sich ihrerseits Millionen von Spinnen hermachen.Brauer, kommst du nach Brüssel, dann vergiss alles, was du bei Kunze oder Narziß über Hygiene im Brauhaus gelesen hast. Hier herrscht eine besondere Harmonie der Nützlinge und Schädlinge, die immer wieder diese großen Biere ermöglicht: Fruchtnoten von Apfel, Birne und Weintraube, gepaart mit holzigen, aber auch ledrigen Noten von der Eichenfassreifung. In der Nase Pferdedecke und Rauchnoten, dazu eine dezente Schaumentwicklung, aber eine angenehme Perlage, die tatsächlich an Champagner erinnert.

Boon Geuze Mariage Parfait, 8%

Hergestellt ist diese Geuze aus Wasser, Gerstenmalz und Weizenrohfrucht. Der Hopfen hat hier keinerlei bitternde Wirkung. Im Vordergrund steht stattdessen die antiseptische, haltbar machende Wirkung des drei bis vier Jahre alten Hopfens. Vielleicht hilft er auch ein wenig bei der Schaumhaltbarkeit, die hier überdurchschnittlich ausgeprägt ist.Das Mariage Parfait ist ein Verschnitt aus 95 Prozent Oude und 5 Prozent Jonge Geuze, die wegen der starken Flaschengärung in einer Champagnerflasche mit Naturkorken und Drahtkorb gut gesichert ist. Optisch und haptisch ist diese Flasche einfach ein Highlight!Der angenehm warme Kupferton schmeichelt dem Auge und ergänzt sehr gut die holzigen Noten, die von der langen Fassreifung herrühren, die aber von säuerlichen Apfel- und Traubennoten gut aufgefangen werden. Ein trockenes Vergnügen, eine perfekte Hochzeit.

Ergebnis:

Platz 1: Boon Mariage Parfait

Platz 2: Cantillon Geuze

Platz 3: Mort Subite Geuze Lambic

Die Geuze von Mort Subite muss man eigentlich vor Ort trinken. Denn vor Ort wirkt das ganze Ensemble der Belle Epoque, zusammen mit der Kellnerschaft, die zum überwiegenden Teil diese Zeit miterlebt zu haben scheint. Das Bier ist eigentlich nicht das Erlebnis. Ähnliches gilt für Cantillon. Wer nur das Bier probiert, losgelöst vom Ort seines Entstehens und der Kunst und der Besessenheit der handelnden Personen, der kann das Bier nicht richtig wertschätzen. Hinfahren, sehen, schmecken, staunen! Am besten an einem „Open Deur Dag“ oder „Public Brewing“, jeweils im November und im März. Wenn ein Bier den Titel „Mariage Parfait“, also „Perfekte Ehe“, verdient hat, dann die ­Geuze von Frank Boon. Ich bin immer wieder begeistert!

Gerd Ruhmann

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