Das Autofahrerbier (AUBI)
Alkoholfreies Bier ist derzeit so etwas wie der Star in der Bierbranche. Denn es steigt nicht nur der Absatz seit Jahren kräftig an – auch viele neue Marken und Stile kommen derzeit auf den Markt. Eine gute Zeit, um sich an die Anfänge zu erinnern. Das erste alkoholfreie Bier auf deutschem Boden war das AUBI, das Autofahrerbier aus der DDR. Erfunden haben es der heute 83-jährige Braumeister Ulrich Wappler und seine Kollegen. In B&B erzählt er, wie es dazu kam.
Ich arbeitete damals in der VEB Engelhardt-Brauerei in Berlin-Stralau. Die Brauerei war im Jahr 1945 durch alliierte Luftangriffe zu etwa 75 Prozent zerstört worden. Aber das Kesselhaus, die Energiegewinnung und die Kälteerzeugung waren noch funktionstüchtig. Ende der 60er-Jahre haben wir zudem Lagertanks aus der Schultheiss Brauerei in der Schönhauser Allee bekommen, die gerade geschlossen worden war. Wir haben die selbst ausgebaut und bei uns wieder zusammengeschweißt. Kapazitäten hatten wir also bei uns.
Damals, Anfang der 70er-Jahre, wurde zu viel Alkohol in der DDR getrunken. Zwischen 1960 und 1981 ist der Bierkonsum um 52 Prozent auf 144 Liter pro Kopf und Jahr angestiegen. Deshalb wurde über alkoholfreies Bier nachgedacht. Die Berliner Braumeister wurden gefragt, ob sie es sich zutrauten, ein alkoholfreies Bier herzustellen. Viele Braumeister der DDR wären dazu in der Lage gewesen. Aber diese Brauereien arbeiteten schon an der Auslastungsgrenze – und teilweise auch darüber hinaus. Die Kapazitäten wurden für immer stärkere Biere gebraucht. Denn stärkere Biere brachten mehr Geld ein.
Vom Etikett waren alle begeistert
Schließlich erhielten wir den Auftrag. Das war im Jahr 1972. Zu der Zeit gab es im Ostblock kein alkoholfreies Bier mit einem Alkoholgehalt von 0,5 Volumenprozent oder weniger. Und der Erfahrungsaustausch mit der westlichen Welt war uns verboten. Auch Westliteratur wie die Brauwelt stand uns nicht zur Verfügung. Also haben wir uns unsere eigenen Gedanken gemacht. Circa ein halbes Jahr habe ich mich mit internationalen Patenten aus der Bierbranche beschäftigt. Ein Bekannter eines Kollegen hat derweil schon ein Etikett mit dem Namen „AUBI – Autofahrerbier“ entworfen. Alle waren begeistert. Zu diesem Zeitpunkt war uns noch nicht klar, dass das AUBI hauptsächlich in der Industrie zum Einsatz kommen sollte, in Stahl- oder Glaswerken. Da brauchten die Arbeiter viel Flüssigkeit. Und Wasser wollten die nicht haben.
Die Rezeptur musste natürlich unseren brautechnischen Möglichkeiten angepasst sein. Wir brauten im Dekoktionsverfahren mit 20 bis 50 Prozent Rohfrucht. Die Rohstoffqualität war ungenügend. Wir haben im Springmaischverfahren eingemaischt, bei dem die Beta-Amylase-Rast bei 62 °C übersprungen und die Stärke hauptsächlich von der Alpha-Amylase bei 72 °C verzuckert wird. Auf diese Weise erreicht man einen niedrigen Endvergärungsgrad. Die Stammwürze betrug 7 Prozent. Wir haben Hopfenöle verwendet und mit reichlich gärgebremster Hefe angestellt. Die Hefe ist ein wichtiger Geschmacksträger. Zehn Prozent der Ausschlagwürze kam zur Angärung. Nach Bedarf haben wir die unterkühlte Würze daraufgedrückt.
Das AUBI schmeckte zunächst furchtbar
Zunächst haben wir auf einer Kleinanlage mehrere Monate experimentiert. In der Zwischenzeit wurde die Großanlage für etwa 100.000 Hektoliter pro Jahr aufgebaut. Das Brauen war damals nicht so einfach wie heute. Spezielle Messgeräte standen uns nicht zur Verfügung. Eine Alkoholanalyse war sehr zeitaufwändig. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit war die Einstellung des richtigen pH-Werts.
Das AUBI, das als „alkoholfreies, bierähnliches Getränk“ deklariert wurde, schmeckte zunächst furchtbar. Leider wurde die Auslieferung beantragt, als wir mit unseren Versuchen noch gar nicht fertig waren.
Interesse kam aus der Ukraine und Libyen
Trotzdem wollten wir den Geschmack unbedingt verbessern. Und so habe ich mich mit Professor Donhauser von der Universität München getroffen, obwohl das streng verboten war. Ich habe ihm unser Problem geschildert und er hat mir freundlicherweise sehr geholfen, vor allem bei der Geschmacksverbesserung. Auch einige Analysen wurden für mich angefertigt, damit konnten wir unseren Weg bestätigen. So wurde der Geschmack des Bieres im Laufe der Entwicklung immer besser. Die internationalen sensorischen Bewertungen im Wissenschaftlich-Technisch-Ökonomischen Zentrum der Brau- und Malzindustrie der DDR (WTÖZ) in Berlin ergaben Werte bis zur Spitzenplatzierung. Unser Bier wurde in die USA oder nach England exportiert. In Leipzig wurde uns eine Goldmedaille für das Foxy Light verliehen. So hieß das Bier in den USA. Nach England wurde es als Berolina verkauft. Im Inland nannten wir es später Pilot, damit es niemand mehr mit dem AUBI und seinem üblen Geschmack verwechselte.
Unser Rezept stieß auf viel Interesse. Ich habe die Brauerei Neustadt an der Orla auf eine alkoholfreie Produktion umgestellt. Von dort wurde das Bier zum Beispiel an Autoraststätten geliefert. Auch in Nordkorea wurden Brauereien in Vorbereitung auf die Weltfestspiele entsprechend umgerüstet. Interesse gab es auch in der Ukraine, Weißrussland und Libyen.
Seit 1998 wird das AUBI wieder gebraut
Zu meiner Überraschung wurde die Produktion im Inland dann aber gebremst. Der Grund war, dass alkoholfreies Bier innerbetrieblich die Wirtschaftlichkeit schmälerte. Auch, wenn der Rohstoffeinsatz geringer war als bei alkoholhaltigem Bier, war die Gewinnmarge beim alkoholfreien Bier wegen des niedrigeren Preises kleiner. Pro halbem Liter kostete das Pilot 75 Pfennige, während das Berliner Pilsner Spezial zum Beispiel 1,28 Mark kostete.
1990 wurde die Produktion dann ganz eingestellt. Seit 1998 wird das AUBI allerdings wieder produziert – von der Privatbrauerei Metzler im thüringischen Dingsleben. Dieses AUBI hat jedoch eine andere Rezeptur als unseres. Hier wird dem fertigen Bier nach der Reife der Alkohol entzogen.
Ulrich Wappler
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