Was KI für Biershops leisten kann – und was nicht

Beim Münchener Bierfachhändler Bierothek berät seit kurzem der KI-Roboter „Bierrobot“ Kunden bei der Suche nach dem richtigen Bier.
Was bei der Bierothek bereits Realität ist, wurde auch im Magazin Bier & Brauhaus in einem lesenswerten Interview besprochen. Prof. Ulrich Bucher von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Stuttgart erklärt die Möglichkeiten und Grenzen von KI im Biershop-Bereich.
Wie kann KI in Biershops eingesetzt werden? Die Bierothek nutzt die Technologie bereits. Quelle: bierothek.de

B&B: Eine gleichzeitige Auswahl von 243 Bieren ist schon eine ordentliche Herausforderung für den Konsumenten. Ist eventuell der Kunde/Konsument generell überfordert, die passenden Bedürfnisse für eine Empfehlungsgrundlage zu geben?

Bucher: Vorweggeschickt sei, dass es wie in den meisten Konsumbereichen eine hohe Heterogenität der Konsumenten gibt. Einzelne Konsumenten beschäftigen sich sehr ausgiebig mit Bier und sind daher in der Lage, sehr konkret ihre Präferenzen zu beschreiben. Diese Konsumenten nehmen sich auch gerne die Zeit, um sich mit dem Angebot auseinanderzusetzen. Kommt dann zu dem Involvement noch ein Variety-Seeking-Verhalten hinzu, wird über die Zeit auch ein großes Produktangebot aufgearbeitet. Für die allermeisten Konsumenten gilt dies jedoch nicht. Die Motivation der meisten Konsumenten, sich mit Bier auseinanderzusetzen, ist überschaubar.

Wir lieben eine große Auswahl. Nicht ohne Grund warb Amazon.com lange Zeit damit, der größte Buchladen der Erde zu sein. Zum Erfolgsgeheimnis von Amazon, das sich mit der Zeit zum weltweit größten Online-Store entwickelt hat, gehört seit jeher die Auswahl. Bereits 2015 waren unter Amazon.com 488 Millionen verschiedene Artikel gelistet. Tendenz stark steigend.

Wir lieben eine große Auswahl, weil wir nach Abwechslung suchen (Variety-Seeking-Verhalten) und weil wir durch den Konsum unsere eigene Persönlichkeit definieren. Mit dem Konsum von Produkten wollen wir unsere Individualität ausdrücken. Wir wollen daher kein Einheitsprodukt (daher auch die Millionen von Varianten bei der Konfiguration eines Autos), und wenn es schon ein Produkt von der Stange sein muss (wie bei einem Smartphone), dann individualisieren wir dieses, indem wir uns ein Case dazu kaufen.

Gleichzeitig hassen wir eine große Auswahl. Jeden Tag müssen wir in etwa 20.000 Entscheidungen treffen. Diese Vielzahl an Entscheidungen trifft auf eine limitierte Verarbeitungskapazität des Gehirns: Daraus resultiert, dass wir für die einzelne Entscheidung kaum Energie zur Verfügung stellen können.

Die Hassliebe zwischen großer Auswahl und Choice-Overload kann man sich an einer Studie von Lepper/Lyengar deutlich machen. Die beiden Forscher boten Kunden in einem Delikatessengeschäft die Möglichkeit, einmal sechs verschiedene Marmeladen zu testen, ein anderes Mal waren es 24 Marmeladen. Eine größere Auswahl war für die Konsumenten zwar attraktiver, es wurden von diesen in deutlich weniger Fällen anschließend Marmelade gekauft.

Als Folge der limitierten Ressourcen bilden wir ganz schnell habitualisierte Verhaltensmuster, weil wir uns entlasten, wenn wir immer wieder dieselben Marken kaufen, zum selben Friseur gehen oder im selben Hotel absteigen. Das Problem: Das Leben wird dröge. Die Zeit vergeht im Flug, weil wir keine neuen Erlebnisse mehr erfahren. Je älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit, weil neue Erlebnisse wie der erste Kuss, das Abschlussfest an der Schule, die erste eigene Wohnung fehlen.

Ein Empfehlungssystem stellt letztendlich nichts anderes als den Versuch dar, diese Hassliebe aufzulösen. Die Konsumenten werden bei der Entscheidung entlastet und erhalten gleichzeitig eine Auswahl an Produkten, die zu ihren Präferenzen passt.

B&B: Werden in der Praxis vom Anbieter nicht auch weiterhin besondere Angebote hervorgehoben (Aktionsware, Saison …), sodass die KI gegenüber dem Kunden/Konsumenten eigentlich nur verlieren kann?

Bucher: Die Frage weist auf ein wichtiges Problemfeld der KI hin. Deren besondere Stärke besteht darin, Muster in einer Datenbasis aufzudecken, die zum Training der KI verwendet wurden. Ergeben sich nun Änderungen (beispielsweise, weil ein Bier als Aktionsware angeboten wird, sich die Rezeptur ändert oder eine Brauerei ein neu designtes Label verwendet), dann werden die gelernten Muster der Situation nur noch bedingt gerecht. Das ist auch für das entwickelte Empfehlungssystem eine große Herausforderung.

Um dieser Herausforderung zu begegnen, gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Zentral ist sicherlich, dass im Zeitablauf und mit der wachsenden Datenmenge die Modelle immer wieder neu trainiert werden. Kurzfristige Änderungen, wie das beispielsweise bei Aktionsware oder bei einer Out-of-Stock-Situation der Fall ist, können damit jedoch nicht berücksichtigt werden. Ein zweiter wesentlicher Ansatzpunkt ist es daher, verschiedene Eigenschaften der angebotenen Biere laufend abzugleichen, um diese bei den Empfehlungen berücksichtigen zu können. Ein dritter Ansatzpunkt besteht darin, verschiedene Muster zu identifizieren und diese zur Entwicklung der Empfehlungen zu nutzen. Dadurch fallen Mängel eines einzelnen Musters weniger stark ins Gewicht.

B&B: Hätte neben einem beschreibenden Text eventuell das Erzeugen von Bildern (aus der KI) für den Kunden/Konsumenten einen höheren emotionaleren Wert für die Kauf-/Trinkentscheidung?

Bucher: Ja, diese Frage spricht mir aus dem Herzen. Das Lesen der beschreibenden Texte ist viel zu mühsam. Bilder verarbeiten wir schneller und mit weniger Energie. Zudem haben Bilder eine stärkere emotionale Wirkung, und das ist aus Sicht des Neuromarketings die wesentliche Triebfeder des menschlichen Verhaltens, den emotionalen Nutzen zu maximieren.

Daher macht es auch bei einem Empfehlungssystem Sinn, Bilder in den Vordergrund zu stellen. Einige Ideen dazu liegen dazu vor und warten darauf, umgesetzt und getestet zu werden.

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