Den zugrunde liegenden Bierstil nicht überdecken
Der Frühling hat in diesem Jahr einigermaßen geschwächelt. Nach einem enttäuschenden Frühling wird der Sommer aber umso schöner. Behaupten wir jetzt einfach mal. Und zu einem schönen Sommer passen Fruchtbiere – zumindest, wenn sie gut sind. B&B-Stilexperte Alexander Sperr erklärt, worauf man beim Brauen guter Fruchtbiere achten sollte und weshalb er in seinem letzten Sizilienurlaub lieber zum Wein als zum Fruchtbier gegriffen hat.
Belgien? Da gibt es doch kein Reinheitsgebot. Die werfen doch Kirschen und Himbeeren ins Bier: fürchterlich! Solchen Vorurteilen begegnete man noch vor wenigen Jahren oft, wenn die Sprache auf belgisches Bier kam. Natürlich wissen wir alle längst, dass in Belgien neben Kriek und Framboise auch viele andere tolle Biere gebraut werden, und mittlerweile bekommt man Fruchtbiere auch aus anderen Herkunftsländern. Hobbybrauer, stets experimentierfreudig, haben wahrscheinlich schon fast alles versucht, was denkbar ist: Fruchtbiere inklusive. Die Craftbrauer zeigen sich in dieser Richtung eher noch verhalten.
Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich in Noto auf Sizilien und halte mich trotz der enormen Biervielfalt in Italien doch hauptsächlich an den lokalen Wein. Gerade bei Fruchtbieren sieht es hier doch eher schwach aus. Heute habe ich aber zufällig aus der Regionenreihe von Birra Moretti (zu verschiedenen italienischen Regionen gibt es Biere, die den Charakter der jeweiligen Region widerspiegeln sollen) das „Siciliana“, das zum Beispiel bei Untappd bei den Fruchtbieren eingeordnet ist – wohl weil es mit Orangenextrakt hergestellt wurde. Bei diesem Artikel soll es allerdings um Fruchtbiere nach der Definition des „Beer Judge Certification Program“ (BJCP) gehen. Das „Siciliana“ von Moretti gehört nur ansatzweise dazu.
Meine ersten Erfahrungen mit derartigen Bieren hatte ich mit den einschlägig bekannten belgischen Fruchtlambics, die bisher beste in der Schweiz bei einer SIOS Trophy: Der Kollege Urs Flunser hatte ein Sauerkirschbier dabei, das meiner Meinung nach zum Niederknien war. Da ich nach Möglichkeit versuche, Fremdorganismen von meiner Brauanlage fernzuhalten, habe ich mich selbst noch nicht an ein Fruchtbier gewagt. Daher gibt es dieses Mal auch kein Rezept.
Geschichte
Auch, wenn hier die Grenze zwischen Bier und Wein etwas unscharf wird, liegt es doch fast auf der Hand, Bier auch mit Früchten herzustellen – wenn man nicht einem sogenannten Reinheitsgebot verpflichtet ist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass schon frühzeitig begonnen wurde, zu irgendeinem Zeitpunkt des Brauprozesses Früchte zuzugeben. Richtig kultiviert wurde dies in Belgien bei diversen Fruchtlambics mit beispielsweise Kirschen (Kriek), Himbeeren (Framboise) oder Pfirsichen (Pêche). Bei diesen werden dem Bier nach der ersten spontanen Gärung noch (meist zerkleinerte) Früchte beigegeben. Durch den darin enthaltenen Zucker kommt es zu einer zweiten Gärung, an der auch weitere Mikroorganismen beteiligt sind, die über die Früchte ins Bier kommen.
Biersortenbeschreibung
Die folgenden Beschreibungen erfolgen teilweise in Anlehnung an die 2015 aktualisierten des BJCP. Sie sind zu finden unter: www.bjcp.org/docs/2015_Guidelines_Beer.pdf. Ich beschränke mich hier auf die Kategorie 29A, die keine weiteren Zusätze wie Gewürze oder Zucker zulässt. Die Definition des BJCP von Früchten orientiert sich nicht an der botanischen, sondern an der kulinarischen. Im Wesentlichen geht es um Kern- oder Steinobst, Beeren, Zitrusfrüchte, Trockenfrüchte wie Datteln, Pflaumen, Rosinen oder tropische Früchte wie Bananen, Ananas, Guaven, Papayas, Feigen, Granatäpfel et cetera. Gewürze oder Kräuter sind in einer anderen Kategorie beschrieben.
Fruchtbier
Insgesamt sollte die Kombination stimmig und das Bier in jedem Fall auch als Bier zu identifizieren sein. Der Fruchtcharakter soll erkennbar, aber ausgewogen sein. Ein gutes Fruchtbier bringt den zugrunde liegenden Bierstil zur Geltung, ohne ihn zu überdecken. In Geruch und Geschmack sollte die verwendete Frucht gut wahrnehmbar sein. Es ist zu beachten, dass manche Früchte mehr Aroma abgeben als andere. Die Aromatik kann zwischen subtil und aggressiv variieren, sollte aber zum Ausgangsbierstil passen. Dasselbe gilt für den Geschmack. Keinesfalls sollte die Frucht so dominieren, dass das Bier nicht mehr als solches zu erkennen ist. Insgesamt sind alle „inneren Werte“ wie Alkoholgehalt, Bittere, Stammwürze et cetera auf das Basisbier abzustimmen. Es ist darauf zu achten, dass die Zucker der Früchte meist vollständig vergoren werden, woraus eher trockene, körperarme Biere resultieren. Die Früchte bringen zwar Aroma und Geschmack ins Bier, aber keine Süße. Im Aussehen ist ein Wiedererkennen der Frucht wünschenswert, was bei helleren Früchten schwieriger ist. Etwas Trübung ist akzeptabel. Idealerweise weist der Schaum die Farbe der Frucht auf.
- Hefe: abhängig vom Ausgangsstil, meist obergärig, oft auch spontan
- Stammwürze: abhängig vom Ausgangsstil
- Restextraktgehalt: abhängig vom Ausgangsstil
- Hopfenbittere: abhängig vom Ausgangsstil
- Hopfenaroma: abhängig vom Ausgangsstil
- Vollmundigkeit: abhängig vom Ausgangsstil, meist etwas schlanker
- Rezenz: abhängig vom Ausgangsstil, meist eher spritzig
- Bierfarbe: abhängig vom Ausgangsstil, sollte der verwendeten Frucht entsprechen
- Alkohol: abhängig vom Ausgangsstil
Kommerzielle Beispiele: Lindemans: Cassis, Framboise, Kriek, Pêcheresse und Apple, St. Louis Kriek Lambic, Liefmans Fruitesse, Cantillon Kriek, 3 Fontainen Oude Kriek, Kriek Boon, Mort Subite Kriek, Samuel Smith Organic Raspberry, Samuel Smith Organic Apricot
Alexander Sperr