Bierstadt Dortmund

Keine Stadt hat das Bild des Ruhrgebiets als Bierregion so geprägt wie Dortmund. B&B-Autor Peter Eichhorn begibt sich auf eine Reise in Dortmunds wilde, glorreiche Bierhistorie.
Dortmund-U

Geschichte der Bierstadt Dortmund

Keine Stadt hat das Bild des Ruhrgebiets als Bierregion so geprägt wie Dortmund. B&B-Autor Peter Eichhorn begibt sich auf eine Reise in Dortmunds wilde, glorreiche Bierhistorie – und zeigt, dass auch in der Gegenwart Hopfen und Malz nicht verloren sind.

Dortmund Hauptbahnhof. Bitte aussteigen! Wer dieser Aufforderung vor einem halben Jahrhundert Folge geleistet hätte, wäre sofort von den Düften der Brausude und Malze umweht worden. Heute bleibt dort die Nase biertechnisch unstimuliert. Dennoch begrüßt ein Wahrzeichen der ehemals stolzen Biermetropole den Reisenden. Hoch in den Himmel ragt das goldene U über dem Bahnhofs- und früheren Brauereiviertel der Dortmunder Innenstadt. 67 Jahre wurde hier Bier gebraut.

Der Turm mit dem goldenen U

Der Turm mit dem goldenen Buchstaben symbolisiert gleichsam den Aufstieg und den Niedergang Dortmunds als international renommierte Bierstadt. Um 1900 versorgen 30 Brauereien die Westfalenregion mit Brauwaren. Zu dieser Zeit wird nur in München und Berlin mehr Bier gebraut. 1926 beauftragt die Dortmunder Union Brauerei (DUB) den Architekten Emil Moog mit dem Bau eines neuen Brauereigebäudes. Markant und stattlich soll es sein und den Status der Brauerei als eine der größten des Landes untermauern. Nach nur 14 Monaten Bauzeit geht die hochmoderne Braustätte in Betrieb. Tatsächlich läuft die Bierproduktion durch den Turm. Von oben nach unten vollziehen sich die einzelnen Schritte der Bierproduktion. Damals wird Dortmunds erstes Hochhaus allerdings noch nicht von dem markanten U bekrönt. 1929 knackt die Dortmunder Union erstmals die Produktionsmenge von einer Million Hektoliter Jahresproduktion. Dortmunder Bier boomt.

Die Ursprünge des Dortmunder Brauwesens liegen jedoch viel weiter in der Vergangenheit. Eine Urkunde vom 22. August 1293 enthält das Privileg für die Dortmunder, „Bier mit Gewürz“ herzustellen. König Adolf von Nassau hatte es der Stadt verliehen. Gebraut wurde damals jenes Bier, das manche Kreativbrauerei (wie beispielsweise das Gruthaus Münster) heute als „Grutbier“ zu neuem Leben erweckt. In den nördlichen Regionen, wo Hopfen nicht so gut gedeiht, aromatisierten die Brauer ihre Biere mit Kräuter- und Gewürzmischungen. Vielerorts wachte ein Grutmeister über die genaue und meist geheime Rezeptur, in der Zutaten wie Gagel, Wacholder, Harze und Kümmel enthalten waren. Ab dem 16. Jahrhundert stieg die Verfügbarkeit von Hopfen, und die Herstellung von Grutbier verringerte sich zunehmend. Das Dortmunder Bier genoss bereits zu dieser Zeit einen sehr guten Ruf und beeinträchtigte die Steuereinnahmen der Magistrate anderer Städte. Die verärgerten Konkurrenten Dortmunds heuerten Schützen an, die auf dem Transportweg Löcher in die Bierfässer schießen sollten. Als Gegenreaktion wurden die Dortmunder Biertransporte nun schwer bewacht auf den Weg gebracht. Die Situation eskalierte zu dem, was in den Annalen als der „Westfälische Bierkrieg“ beschrieben wird. Es heißt, der schlussendliche Friedensschluss sei mit einem opulenten Saufgelage zelebriert worden.

Die ersten untergärigen Biere in Dortmund

Die Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert machte Dortmund dann zur Bierberühmtheit. Als Startschuss gilt das Jahr 1843, als der Braumeister Heinrich Wenker in der „Krone am Markt“ als Erster die untergärigen Hefen gezielt einsetzte und nach dem Vorbild der Pilsner und Münchner Brauart ein helles Bier in Dortmund einführte. Zuvor hatte er in München in der Franziskaner Brauerei den neuen Braustil erlernt. Der Erfolg war gewaltig. 1870 verkaufte Wenker mit seinem Partner Overbeck 14.000 Hektoliter, vier Jahre später waren es bereits 41.000. Der Bierstil „Dortmunder Helles“, der sich zum „Dortmunder Export“ weiterentwickeln sollte, war geboren.Die Bierstadt Dortmund wuchs weiter. Neue Brauereigründungen folgten. 1854 begannen die Brauereien Thier und Hövels mit der Produktion, 1867 wurde die Stifts-Brauerei in Hörde gegründet, und 1868 folgte jene einflussreiche Brauerei, deren Bier auch heute noch in der Region beliebt ist: die Dortmunder Actien Brauerei (DAB).

Der Aufstieg des Fritz Brinkhoff

Wir befinden uns in der Heimat von Kohle und Stahl. Die harte Arbeit sorgte für trockene Kehlen, und das heimische Bier wusste, diesen Zustand zu beheben. Die Stahl- und Bergarbeiter trugen ihren Teil zum Erfolg des Exports bei. Das untergärige, herbe Bier besitzt einen hohen Stammwürzegehalt von bis zu 13,5 °Plato und einen Alkoholgehalt von mehr als 5 Prozent. Es ist vollmundig, weniger hopfenbitter als Pils, aber herber als das Bayerisch Hell mit einem halbtrockenen Abgang. Noch befinden wir uns in der Zeit vor der Erfindung der Kältemaschine durch Carl von Linde, und so werden die Biere, die lange Lieferwege überstehen sollen, kräftiger eingebraut. Der Bierexperte Horst Dornbusch empfiehlt für Heimbrauer die Hopfensorten Mittelfrüh, Tettnanger und Saazer und die dänische Hefesorte 2042. Das Wasser zu dem Bier darf ruhig etwas härter sein.

Einer der wichtigsten Brauunternehmer der Stadt war Fritz Brinkhoff. 1848 in Harpen bei Bochum geboren, wurde der talentierte Brauer und gewiefte Geschäftsmann ab 1869 eine prägende Figur für das Dortmunder Brauwesen. Nach ersten Anstellungen bei der Kloster- und der Löwenbrauerei wurde er technischer Leiter in der Brauerei Wilhelm Struck & Co. Dort handelte er zusätzlich zu seinem Gehalt eine Umsatzbeteiligung aus. Diese blieb auch nach 1873 erhalten, als das Unternehmen eine Neustrukturierung erlebte und die Geschäfte als „Dortmunder Union Brauerei AG“ fortführte. Auch dieser Name war eine Idee von Brinkhoff. Brinkhoff zählte zu denjenigen, die den Exportstil weiterentwickelten und ihm zum Durchbruch verhalfen. Das zahlte sich für ihn aus, und so entstand jene Anekdote, dass Brinkhoff und Fürst Bismarck sich 1890 bei einer Kur in Bad Kissingen trafen und der Brauer stolz von seinem Wohlstand berichtete. Das soll den Reichskanzler später, als es Kritik an seinem Gehalt gab, zu dem Ausspruch verleitet haben, er verdiene ja nicht einmal so viel wie ein Dortmunder Braumeister. Eine hübsche Geschichte schildert den Erfolg als ursprüngliches Versehen: Angeblich schickte Brinkhoff eine fehlerhafte Lieferung nach Aachen, bei der versehentlich zu viel helles Gerstenmalz eingesetzt worden war. Den Aachenern schmeckte der Trunk aber so gut, dass zügig Nachschub beschafft werden musste.

Borussia-Brauerei wird Namensgeberin des BVB

Nach 53 Jahren in Diensten von DUB setzte sich Brinkhoff 1923 zur Ruhe und verstarb 1927. 50 Jahre nach seinem Tod braute DUB die historische Rezeptur für ein Dortmunder Helles nach Pilsner Brauart ein und benannte das Bier nach dem legendären Braumeister als Brinkhoff’s No. 1, bis heute das Aushängeschild des Unternehmens. Zudem ist es das offizielle Bier für die Fußballer von Borussia Dortmund. Bier passt sehr gut zu diesem Verein, da es auf sehr prägende Weise dessen Gründung begleitete. Am 19. Dezember 1909 trafen sich einige junge, sportbegeisterte Männer aus der katholischen Dreifaltigkeits-Gemeinde in der Gaststätte „Zum Wildschütz“, nahe dem Dortmunder Borsigplatz. Es galt, für ihren frisch gegründeten Fußballverein einen Namen zu ersinnen. In dem Vereinszimmer des Lokals hing ein altes Schild der Borussia-Brauerei. Zwar gab es diese Brauerei nicht mehr, da sie bereits 1901 in die Hansa-Brauerei umgewandelt worden war, aber das Schild inspirierte dennoch erfolgreich die Namensgebung der Kicker.

Erneuter Aufschwung in den Wirtschaftswunderjahren

Die Vielfalt der Brauereien Dortmunds blieb immens, und durch das Bier, das man trank, erfolgte für viele Biertrinker gleichzeitig ein Bekenntnis. Der Westen von Dortmund genoss Ritter oder Bergmann, der Süden zapfte Stifts. Es tranken die Katholiken Thier, die Protestanten schworen auf Union, in Arbeiterkehlen floss Hansa, und als Gutbürgerlicher genehmigte man sich gerne Kronen. Der Erste Weltkrieg bedeutete einen gravierenden Einschnitt in die Brauwirtschaft, und nach dessen Ende blieben der Stadt nur 28 Braubetreibe erhalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wiederum begleiteten die Wirtschaftswunderjahre einen zweiten Aufschwung der Brauereien Dortmunds. Zwar existierten in den 1960er-Jahren nur noch sieben von ihnen – aber dafür im großen Stil. Neben Kohle und Stahl war bereits zuvor das Bier das dritte Standbein im Revier gewesen. 6.800 Menschen fanden Arbeit bei den Braustätten, die mit Millionen Hektolitern insgesamt ein Zehntel der deutschen Bierproduktion stellten. Die Werbebotschaft als „Europas Bierstadt Nummer 1“, die an den Ortseingangsschildern der Stadt montiert war, hatte ihre Berechtigung. In den 2000er Jahren wurde dieser stolze Zusatz wieder abmontiert.

Der Niedergang des Dortmunder Exports

Heute kritisieren Brauhistoriker, dass die Dortmunder Brauereien die Zeichen der Zeit nicht erkannt hätten. In den 1970er-Jahren setzte eine Veränderung im Markt ein: Das Pils wurde immer beliebter, während das Export nicht mehr so häufig verlangt wurde. Den Rückgang der Popularität des Exports führen Soziologen darauf zurück, dass die westfälischen Arbeiter dieses Bier während ihrer anstrengenden Maloche zu sich nahmen, aber bei Ausflügen ins benachbarte Sauerland das Pils schätzen lernten und es gedanklich mit dem Genuss der Freizeit verbanden. Marken wie Iserlohner oder Veltins profitierten davon.

So setzte schließlich ein Konzen­trationsprozess ein: 1971 übernahm DAB die Hansa Brauerei. Die Bergmann Brauerei stellte 1972 die Produktion ein. Im gleichen Jahr fusionierte Union mit der Berliner Schultheiss Brauerei zur Union-Schultheiss GmbH, die wiederum 1988 zur Brau und Brunnen GmbH wurde und sich rasch zum größten Getränkekonzern Deutschlands entwickelte. In den 1980er-Jahren erlebte das Ruhrgebiet die große Krise von Kohle und Stahl. Auch die Verkaufszahlen der Dortmunder Biere, insbesondere beim Export, brachen ein. 1987 kaufte Kronen die Stifts-Brauerei und fünf Jahre später auch Thier (zu der wiederum Hövels gehört). 1994 übernahm Union die Ritter Brauerei, und 1996 übernahm DAB auch noch Kronen.

Die 2000er-Jahre werden noch schlimmer

Noch einschlägiger wirkten sich die 2000er-Jahre aus. DAB war stark verschuldet, und so übernahm 2002 die Radeberger Gruppe ihre gesamten Marken, also DAB, Hansa, Kronen, Stifts und Thier. 2004 übernahm dann die zum Oetkerkonzern zählende Radeberger Gruppe auch noch Brau und Brunnen mitsamt der Dortmunder Marken Brinkhoff’s, Ritter und Union. Die Produktion verließ die Innenstadt und wurde am DAB-Standort auf dem ehemaligen Hansagelände in der Steigerstraße konzentriert.

Auf diesem Gelände lässt sich immerhin die faszinierende Braugeschichte Dortmunds erkunden, denn seit 2006 empfängt ein neues Museum zur Biergeschichte in den historischen Gebäudeteilen die Besucher und bietet abwechslungsreiche Informationen und Präsentationen zur Brautradition der größten Stadt Westfalens und des Ruhrgebiets.

Das goldene U leuchtet wieder

Zurück in die Innenstadt. Hier leuchtet über allem noch immer das goldene U. Wie durch ein Wunder hatte das DUB-Gebäude den Bombensturm des Zweiten Weltkriegs überstanden und konnte so den Wiederaufbau Dortmunds zur modernsten Braustätte Europas begleiten. Ende der 1960er-Jahre wurde der Turm zur Feier des Erfolgs mit dem U bekrönt – zunächst aus Pappe, dann mit einem echt vergoldeten leuchtenden U.

Nachdem 1994 die Union den Standort verließ, verfiel der Bau zusehends, und es gab sogar Abrisspläne. Erst im Rahmen der Planungen der RUHR2010, die das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt Europas inszenierte, wurden Rettungspläne entwickelt. Täglich leuchten heute 1,7 Millionen LEDs des Lichtkünstlers Adolf Winkelmann vom Turm. Ein neues Wahrzeichen ward geboren. Im Inneren entkernt, bietet der Turm heute als Zentrum für Kunst und Kreativität eine Heimat für Kulturveranstaltungen, Kinos, Mitmachprojekte, Medienkunst, Ausstellungsräume sowie eine Aussichtsplattform. Auch eine Bar, Restaurants und eine Partylocation sind dabei. Und auch, wenn unter dem stolzen Dortmunder Bier-U nicht mehr gebraut wird, so wird das Dortmunder Bier hier doch immerhin weiter ausgeschenkt.

Peter Eichhorn

Brauerei-Museum Dortmund, eingebettet in die Brinkhoffs-Brauerei, Steigerstr. 16, 44145 Dortmund
www.brauereierlebnis-dortmund.de

Dortmunder Brauerei-Archiv unter der wissenschaftlichen Leitung des Westfälischen Wirtschaftsarchivs (WWA)
www.archive.nrw.de

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