Alkoholfreies Bier

Manchmal ist weniger mehr
Der vorliegende Artikel unterscheidet sich grundsätzlich von allen anderen in der Rubrik „Biersortenvorstellung“ vor allem dadurch, dass es sich beim alkoholfreien Bier nicht um eine Sorte handelt.
Alkoholfreies Bier

Die Beliebtheit alkoholfreier Getränke wächst.

Insbesondere im Bereich der alkoholfreien Biere hat sich in den letzten Jahren viel getan. War dieses vor einiger Zeit nur eine Notlösung für diejenigen, die noch fahren mussten, gibt es mittlerweile einige Biere, die man mit Genuss trinken kann. Auch mein eigenes Trinkverhalten hat sich etwas in Richtung der alkoholfreien Biere entwickelt. Selbst in geselliger Runde hat man nicht unbedingt das Gefühl, auf etwas verzichten zu müssen. Die Zeiten, in denen alkoholfrei synonym mit Clausthaler verwendet wurde, sind vorbei, und zu den üblichen alkoholfreien Pilsner- und Weizenbieren gesellen sich einige weitere Sorten. Nebenbei erwähnt, gibt es auch noch einen Placeboeffekt, den ich im eigenen Haushalt beobachtet habe: Der 20-Jährige hat das Störtebeker Atlantik Ale nicht genau angesehen und auch am Geschmack nicht erkannt, dass es die alkoholfreie Variante war, die er sich aus dem Kühlschrank geholt hatte, durchaus aber „etwas gespürt“.

Die Herstellung von alkoholfreiem Bier

Der vorliegende Artikel unterscheidet sich grundsätzlich von allen anderen in der Rubrik „Biersortenvorstellung“ vor allem dadurch, dass es sich beim alkoholfreien Bier nicht um eine Sorte handelt. Genau genommen können sämtliche Biersorten theoretisch alkoholfrei sein, auch wenn es bei einigen keinen rechten Sinn ergibt oder schlicht eine essenzielle Komponente fehlt: Die alkoholische Wärme eines Barley Wine wird man ohne einfach Alkohol nicht hinbekommen.

Da die Definition alkoholfreien Bieres in Deutschland etwas Spielraum lässt, sind unterschiedliche Herstellungsverfahren möglich. Per Gesetz dürfen alkoholfreie Biere maximal einen Alkoholgehalt von 0,5 Volumenprozent haben. Dieser hat auch auf sensible Menschen keinen nennenswerten physiologischen Einfluss und kann unter Umständen ebenso in Fruchtsäften oder reifen Obst auftreten. Auch wenn es einige Biere mit 0,0 % Alkohol gibt, sind die meisten kommerziell erhältlichen Alkoholfreien genaugenommen lediglich „sehr alkoholarm“.

Wie kann man nun aber vorgehen, um ein alkoholfreies Bier herzustellen? Grundsätzlich gibt es zwei Ansätze: Entweder lässt man den Alkohol gar nicht erst entstehen oder man holt ihn hinterher aus dem Getränk.
Die ursprünglichere Methode besteht in der Beeinflussung der Gärung, bei der auch verschiedene Wege beschritten werden können. Ausgangspunkt ist in aller Regel eine Würze mit geringem Stammwürzegehalt um etwa 7 °P.

  • Gestoppte Gärung: Bevor ein Alkoholgehalt von 0,5 % erreicht ist, wird die Gärung durch Kurzzeiterhitzung abgebrochen. Die Hefe wird dabei abgetötet und kann nicht weiter vergären. Die Biere schmecken häufig süßlich nach Bierwürze. Durch kräftige Hopfengaben soll dies möglichst ausgeglichen oder überdeckt werden.
  • Gedrosselte Gärung: Funktioniert ähnlich wie die gestoppte Gärung, die Hefe bekommt aber mehr Zeit bei niedrigen Temperaturen nahe des Gefrierpunkts, um die 0,5 % zu erreichen.
  • Spezialhefen: Die Vergärung erfolgt mit Hefen, die nur einen Teil des Zuckerspektrums der Bierwürze vergären können; gerne wird hier Saccharomyces ludwigii eingesetzt. Diese Hefe vergärt keine Maltose, sondern nur Glukose, Fruktose und Saccharose, die in einer Bierwürze Anteile von 8,5 bis 16,5 % haben, woraus dann der Vergärgrad der Hefe von 12 bis 15 % resultiert. Zu einer Vergärung größerer Zuckermoleküle fehlen diesen Untervergärern Enzyme, um diese aufzuspalten. Abhängig von der Stammwürze sind so Biere mit weniger als 0,5 % Alkohol erzielbar, die allerdings einen kompletten Gärzyklus inklusive Abbau von Gärnebenprodukten durchlaufen haben. Man erhält so ein „saubereres“ Bier. Dieses Verfahren ist jenes, das auch im Hobbybereich zur Herstellung alkoholfreier Biere geeignet ist. Wichtig ist, dass keine andere Hefe versehentlich ins Gärfass oder gar in die Flaschen kommt.
    Die nachträgliche Entfernung des Alkohols aus dem fertigen Bier ist technologisch so aufwendig, dass man als Hobbybrauer keinen Gedanken daran verschwenden muss. Auch hier gibt es verschiedene Verfahren:
  • Vakuumrektifikation: Der Alkohol des Bieres wird hier gewissermaßen herausdestilliert. Da dieses unter Unterdruck geschieht, verdampft der Alkohol bereits bei deutlich geringeren Temperaturen als unter Atmosphärendruck, was die im Bier enthaltenen Aromastoffe schont.
  • Bei Filtration mit Umkehrosmose wird eine Membran eingesetzt, die nur Wasser und Alkohol durchlässt. Die verbleibende hochkonzentrierte Flüssigkeit wird so lange wieder mit Wasser versetzt, bis der Alkoholgehalt nur noch 0,5 % beträgt.
  • Desorption durch Inertgas ist ein relativ neues Verfahren, bei dem ein inertes Gas, z.B. Stickstoff, durch das Bier geleitet wird und den Alkohol aufgrund des Konzentrationsunterschieds desorbiert.

Geschichte des alkoholfreien Bieres

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts gab es Versuche, alkoholfreies Bier herzustellen. Ab etwa 1905 wurde vor allem in Abstinenzwirtschaften alkoholfreies Bier unter den Namen „Malzgold“ oder „Reform-Bier“ ausgeschenkt. Diese hatten, wie auch das „Perplex“ der Flensburger Actienbrauerei, keinen Erfolg und verschwanden bald wieder. Sämtliche dieser frühen Versuche wurden mit gestoppter Gärung hergestellt und konnten den Verbraucher weder in Punkto Geschmack noch Haltbarkeit überzeugen.
Neben prohibitionsbedingten Entwicklungen in den USA mit 0,5 % im Jahr 1919 waren vor allem die Schweizer bei der Herstellung alkoholfreier Biere aktiv. Ende der 30-er Jahre produzierte die Berner Gurten-Brauerei erstmals eines mittels Vakuumdestillation das „Ex-Bier“, das allerdings vor allem aufgrund des Krieges nicht sehr erfolgreich war. Nach zweijähriger Entwicklungszeit brachte die Züricher Brauerei Hürlimann 1965 ein alkoholfreies Bier mit weniger als 0,5 % auf den Markt, bei dem eine spezielle, gering vergärende Hefe eingesetzt wurde. Dieses zuerst „Oro“, später „Birell“ genannte Getränk war nicht nur in der Schweiz, sondern auch international so erfolgreich, dass es in einige europäische Länder und die USA exportiert wurde.
Das erste deutsche Bier mit weniger als 0,5 % wurde 1972 von Braumeister Ulrich Wappler in der VEB Engelhardt-Brauerei in Berlin-Stralau, also in der DDR hergestellt. Über die Erfindung dieses AUBI (Autofahrerbier) genannten Alkoholfreien gibt es einen schönen Beitrag in einer Bier & Brauhaus-Ausgabe aus dem Jahr 2019 (zu finden auch online: https://bier-und-brauhaus.de/aubi). Später wurde das Bier in der DDR unter dem Namen „Pilot“ vermarktet, um eine Verwechslung mit dem AUBI zu vermeiden, das anfangs wohl fürchterlich geschmeckt hat. Letzteres lag daran, dass es auf Druck der Staatsführung bereits ausgeliefert wurde als es noch in der Entwicklungsphase war.
Das erste westdeutsche Alkoholfreie kam 1975 von der Hümmer-Brauerei (Dingolshausen), gefolgt von Sanwald (Stuttgart) und St. Martin (Oberlahnstein). Kommerziell erfolgreich waren erst das „Gerstel“ von Henninger 1977 und im Jahr darauf das „Clausthaler“ von Binding. Das bei Sportlern beliebte alkoholfreie Weizen gibt es seit 1995 (Erdinger), die ersten 0,0-%-Alkohol-Biere seit 2006 (Warsteiner) und 2007 (Bitburger).
Wie bereits erwähnt, ist alkoholfreies Bier mittlerweile deutlich vielfältiger und spannender geworden, daher lohnt sich der Blick auf einige ausgewählte Produkte:

Clausthaler:

Ist irgendwie ein Klassiker, auch wenn mir persönlich das „Classic“ nicht schmeckt. Anders sieht es mit dem „Extra herb“ aus, das vermutlich nicht mit gestoppter Gärung hergestellt wird. Nach dem Sport gehen da auch mal zwei.

Jever Fun: auch eher schlank und herb und für mich trotz grüner Flasche leicht vor dem extra herben Clausthaler.

Störtebeker

Atlantik Ale alkoholfrei: mittlerweile mein Standard bei den Alkoholfreien, davon habe ich auch schon ganze Kisten gekauft. Dank der verwendeten Hopfen ein wirklich tolles Ale, bei dem mancher gar nicht merkt, dass es nicht das richtige ist. Mit dem „Freibier“ von Störtebeker komme ich auch sehr gut zurecht, das liegt aber doch etwas dahinter, das alkoholfreie Weizen hingegen ist geht mir zu stark in Richtung Würze.

Kehrwieder:

Der Craftbier-Klassiker unter den alkoholfreien IPAs, vergoren mit der Ludwigii, 0,4 % Vol. und trotzdem ein echtes IPA. Road Runner: revolutionäres alkoholfreies Coffee Stout, von Meininger zum Alkoholfreien des Jahres gekürt.

Inselbrauerei (Rügen):

Hier gibt es gleich vier besondere Alkoholfreie: Skippers Wet hopped Pilsener, Snorkelers Sea Salt IPA, Surfers Summer Ale und Swimmers Saison. Allen wird durch Destillation bei 35 °C der Alkohol entzogen und später die sorteneigene Kohlensäure wieder zugeführt, was das stiltreue Aroma unterstützt.

Brewdog:

Nanny State: vielleicht das erste alkoholfreie IPA, das es hierzulande gab.

Brlo:

Naked: schönes alkoholfreies Pale Ale mit 0,2 %.

Mikkeller:

Limbo Yuzu: Flanders Red Ale mit Yuzu-Früchten. Limbo Riesling: auch ein Flämisches Ale, hier mit Riesling-Saft. Drink’in the sun: „nur“ ein Weizen, allerdings auf die amerikanische Art, gehopft mit Amarillo.

Lervig:

No Worries: alkoholfreies IPA, gibt es auch in Varianten mit Ananas, Zitrone und Grapefruit. Von dieser Brauerei habe ich noch kein schlechtes Bier getrunken.

Omnipollo:

Konx: ein „Mini Pale Ale“ mit 0,3 % klingt für die Schweden schon fast etwas langweilig

Natürlich gäbe es noch einige weitere nennenswerte alkoholfreie Biere. Wie man sieht, entwickelt sich das Angebot enorm, und man darf gespannt sein, was die Zukunft noch alles bringt. Die Vielfalt erleichtert sicher den Griff zum alkoholfreien Bier. Nicht immer, aber immer öfter.

Alexander Sperr

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