Die Brauereiindustrie steht vor einem Paradigmenwechsel: Energiepreise, Lohnkostensteigerungen, veränderndes Konsumentenverhalten und strake Wettbewerber fordern neue Antworten. Gerade mittelständische Brauereien sind mehr denn je gefragt, ihre Strukturen und Markenstrategien neu auszurichten. In diesem Umfeld begleitet Zukunftsarchitekt Oliver Stiefenhofer Familienbrauereien mit bewährtem Praxis-Know-how und einem klaren Transformationsfahrplan.
Darüber hat Chefredakteur Markus Harms hat mit Oliver Stiefenhofer im exklusiven Interview gesprochen. Stiefenhofer selbst nennt sich Zukunftsarchitekt und Transformationsexperte für Familienunternehmen, Brauereien und die Getränkeindustrie und kennt die Herausforderungen des heutigen Markts genau.
Warum ist es gerade jetzt entscheidend für kleine und mittelgroße Brauereien, ihre Geschäftsmodelle strategisch zu hinterfragen?
Kleine und mittelgroße Brauereien stehen in einer „Doppelzange“ aus steigenden Kosten und sich wandelnder Nachfrage. Mehrere tiefgreifende Trends überlagern sich hier gleichzeitig. Wer jetzt sein Geschäftsmodell nicht strategisch prüft, etwa durch Diversifizierung, Markenfokussierung oder neue Vertriebskanäle, riskiert ins Hintertreffen zu geraten. Umgekehrt kann eine klare Neupositionierung gerade in dieser Umbruchphase den entscheidenden Wettbewerbsvorteil sichern. Zudem ist es entscheidend, seine Kosten und Erlöse in Einklang zu bringen und mit einer detaillierten Planung den Erfolg zu ermöglichen. Ohne Steuerungswerkzeuge wird jedes Geschäftsjahr zum Risiko.
Warum stellt der demografische Wandel in der Bierzielgruppe eine Chance und zugleich eine Herausforderung dar?
Der demografische Wandel wirkt in der Bierbranche wie ein zweischneidiges Schwert. Er eröffnet neue Möglichkeiten, zwingt Brauereien aber gleichzeitig, gewohnte Denk- und Geschäftsmodelle zu überdenken. Die klare Aufgabe ist es, Tradition mit Innovation zu verbinden, insbesondere im Kontext von Digitalisierung und Fachkräftemangel. Es gilt die Loyalität der älteren Biertrinker zu bewahren, während man gleichzeitig jüngere und diversere Zielgruppen für sich gewinnt. Ein gutes Beispiel hierfür ist die zunehmende Nachfrage nach alkoholfreien oder nachhaltigen Produkten. Wer das schafft, kann seinen Kundenstamm breiter und zukunftssicherer aufstellen. Wer es ignoriert, riskiert, dass Marktanteile signifikant verloren gehen.
Neu zu denken erfordert Mut
Was sind die gegenwärtigen Kernfaktoren, die den finanziellen Erfolg regionaler Brauereien bestimmen?
Der finanzielle Erfolg regionaler Brauereien wird mehr denn je durch Kostenkontrolle, klare Markenpositionierung, zielgruppenorientierten Vertrieb und Fähigkeit zur Effizienz und Innovation bestimmt. Eine Brauerei muss ihre regionale Verwurzelung wirtschaftlich nutzen und die Effizienz in Produktion und Logistik steigern. Gleichzeitig muss sie Trends wie Nachhaltigkeit, alkoholfreie Produkte und Online-Vertrieb bedienen, ohne den Markenkern zu verwässern. Wer alle Bereiche strategisch zusammendenkt, kann auch in einem von Preisdruck und Konsumwandel geprägten Markt profitabel bleiben. Die Einbindung von KI, eine strukturierte Projektsteuerung und der Mut alt Bewährtes neu zu denken, können dabei entlasten. Oft hilft es schon den Anspruch zu haben immer wieder um nur 1 Prozent besser zu werden, denn das kann die Kosten zum Jahresende deutlich senken. Außerdem kann eine Neuausrichtung neuer Vertriebskanäle und Preisstrukturen bei mutigen Entscheidungen den Umsatz wieder ankurbeln.
Was müssen Brauereien beachten, um regulatorische Vorgaben (z. B. Reinheitsgebot, Verpackungsverordnung) kosteneffizient umzusetzen?
Wer diese Vorgaben nur als lästige Pflicht betrachtet, zahlt oft doppelt in Form von höheren Kosten und verpassten Chancen. Erfolgreiche Brauereien integrieren Vorschriften wie Reinheitsgebot, Verpackungsverordnung und Nachhaltigkeitsauflagen frühzeitig in ihre Planung, optimieren Prozesse entsprechend und nutzen jede Umsetzung als Hebel für Effizienz und Markenprofil. So wird aus Compliance kein Kostenfresser, sondern ein Wettbewerbsvorteil, denn hier schlummert brachliegendes Potenzial.
„Wir können das Bier nicht besser machen, aber die Art und Weise wie Brauereien mit den Herausforderungen der Zukunft umgehen, signifikant verbessern.“
Wie lassen sich interne Prozessoptimierungen (z. B. in Logistik und Produktion) realisieren, ohne die Bierqualität zu beeinträchtigen?
Interne Prozessoptimierungen lassen sich so umsetzen, dass Effizienz steigt, aber die Bierqualität – das Herzstück jeder Brauerei – unangetastet bleibt. Entscheidend ist, Verbesserungen gezielt an nicht-geschmacksrelevanten Stellschrauben vorzunehmen und Qualitätssicherung fest im Ablauf zu verankern. Die Kunst liegt darin, präzise Technik, klare Standards und kontinuierliche Qualitätskontrollen zu kombinieren.
Mit unserer speziell für Brauereien entwickelten Controlling- und Steuerungssoftware „Beverage Insight“ bilden wir wichtige Daten der Qualitätssicherung ab, ohne die Geschmacksqualität zu gefährden. Einfache digitale Qualitätskontrollen, die frühe Abweichungen sofort sichtbar machen und Reklamationen verhindern. Am Ende dankt es Ihnen der Kunde mit planbaren Absätzen.
Wie kann eine Brauerei ihre Markenkommunikation so gestalten, dass sie sowohl traditionelle Anleger als auch jüngere Zielgruppen anspricht?
Das ist eine spannende Balance-Aufgabe, weil Brauereien oft zwischen Tradition (Handwerk, Geschichte, regionale Verwurzelung) und Innovation (Lifestyle, Nachhaltigkeit, Erlebnisorientierung) vermitteln müssen. Zudem spielt immer die eigene Geschichte, lokale Herkunft und das Marktumfeld eine Rolle. Eine Blaupause gibt es hier nicht. Im Wesentlichen aber liegt der Schlüssel darin, eine gemeinsame Markenidentität zu schaffen, die beiden Gruppen etwas Authentisches bietet und über zielgruppenspezifische Kommunikationskanäle und Ansprachen vermittelt wird. Beispielsweise erzählt eine Brauerei ihr regionales Gründungsnarrativ in kurzen Videos auf Instagram – mit Bildern vom Traditionshandwerk und zugleich in einer jungen Sprache und weckt damit Sehnsüchte junger Menschen.
Die Marke muss authentisch bleiben, denn Anleger spüren schnell, wenn eine Traditionsbrauerei ihre Werte für kurzlebige Trends aufgibt, und junge Zielgruppen merken genauso schnell, wenn ein Unternehmen krampfhaft „hip“ wirken will.
Vielen Dank für das Gespräch!